: Von göttlichen Kleinkindern in Futterraufen
Drogeninduzierte Weihnachtspsychose führt zu bizarren Farbvisionen und Trugbildern ■ Von Manfred Kriener und Walter Saller
Die Deutsche Hauptstelle gegen Drogenmißbrauch (DHG) in Kiel hat gestern vor den Gefahren des Weihnachtsfestes gewarnt. Eindringlich wurden die Bundesbürger aufgefordert, auf suchterzeugende Weihnachtssubstanzen zu verzichten. Vor allem der leichtsinnige Griff ins Gewürzregal könne unabsehbare Folgen haben und den ahnungslosen Konsumenten in Konflikt mit dem Betäubungsmittelgesetz (BtMG) bringen. Vom Verzehr von Zimtsternen, Pfefferkuchen, Anistalern, Ingwerplätzchen, Spekulatius und Schoko-Weihnachtsmännern sei abzuraten. Beim unkontrollierten Mischkonsum mit Glühwein, Punsch und Bowle, Karpfen, Gans und Truthahn wirke, so DHG-Präsidentin Maria Trottelheimer- Preczybowsky (57), ein „multitoxikomanisches Geschehen im menschlichen Organismus unberechenbar und unheilvoll zusammen“.
In einer stofflichen Expertise („Wirkung und Pharmakokinese von psychoaktiven Jahresend-Halluzinogenen“) unterzogen die Kieler Weihnachtsforscher die beliebtesten Festdrogen einer detaillierten Analyse. Ergebnis: Bei chronischem Konsum weihnachtlicher Spezereien könne es zu abnormen, rauschhaften Verwirrtheitszuständen mit Herzschlagveränderung, Schweißabsonderung, Fieberschüben, Muskelschmerzen und Übelkeit kommen – bis hin zum Erbrechen.
Beispiel Safran („macht den Kuchen gelb“): Der aus den Blütenfäden des Krokus gewonnene Farbstoff ist nicht nur Aromaspender, sondern eine dem Opium vergleichbare Droge, schmerzstillend und krampflösend. Die Forscher berichten von einem „euphorisierenden Kick“ mit „heiteren Delirien“ und „unbändigem Lachreiz“. Letale Dosis: 12 Gramm.
Beispiel Zimt (Hauptwirkstoff in „Zimtstern“ und „Bratapfel“): Schon in den dreißiger Jahren wurden Zimt-Zigaretten wie Marihuana geraucht. Auch die Wirkung ist vergleichbar. Hohe Dosen führen zu krampfähnlichen Effekten.
Beispiel Ingwer (enthalten in diversen Weihnachtsspezereien): Bei oraler Verabreichung treten ab 70 mg erste psychoaktive Effekte auf. Typische Opiatwirkungen wurden beobachtet. Ingwer wirkt sedierend, analgesierend, antitussiv und verzögert die Darmperistaltik.
Beispiel Schokolade (allgegenwärtige Weihnachtsdroge): Das beliebte Vielstoffgemisch aktiviert cannabinoide Rezeptoren, putscht den Organismus auf und setzt im Hirn den Neurotransmitter und Glücklichmacher Serotonin frei.
Aber auch Muskat, Pfeffer, Anis oder Nelken sind Rauschdrogen von beachtlicher Potenz, die zu psychischer und/oder physischer Abhängigkeit führen können.
In den Vernehmungsprotokollen ärztlicher und polizeilicher Notdienste finden sich zahlreiche Belege für drogeninduzierte Weihnachtspsychosen. Insbesondere die Leuchtkraft der auftretenden Farbvisionen und die Eindringlichkeit der optischen Trugwahrnehmungen sind hinlänglich dokumentiert. Drogen-User sehen den „Stern von Bethlehem“, „geflügelte, blondierte Wesen auf Tannenspitzen“, „von Elchen und Rentieren gezogenene, schlittenartige Ufos“, „rotgewänderte Greise mit weißen Wattebärten, Rute und Jutesack, die ihr Erbe verschenken“, „elektrisch aufgeladene Fichten“, „göttliche Kleinkinder in Futterraufen“.
Im fortgesetzten Rauschgeschehen treten akustische Phänomene auf: repetitives Psalmodieren inhaltsloser Formeln mit häufig päderastischer Färbung („holder Knabe im lockigen Haar“) und allgemein sexueller Begierde („von einer Jungfrau auserkoren“). Auch zwanghafte Vermehrungswünsche werden beobachtet („ihr Kinderlein kommet“). Die emotional enthemmte Atmosphäre entlädt sich in ekstatischen Gesängen und Litaneien.
Das gesamte Wahngeschehen ist eingebettet in ein aufwendiges „Setting“, das mit erheblichen forstwirtschaftlichen Schäden einhergeht. Junge Nadelgewächse werden gerodet, in Wohnstuben altarähnlich installiert, glitzernde Metallstreifen und psychedelische Kugeln daran arretiert. Nicht selten wird an dem ausgetrockneten Gehölz sorglos mit offenem Licht hantiert. Häufig versammeln sich die Berauschten in unbeheizten, schlecht beleuchteten Sakralbauten und zelebrieren „Messen“.
Die Weihnachtsintoxikation durch Schoko- und Gewürzmißbrauch führt aber auch, so Trottelheimer-Preczybowsky, zu Depressionen, Angst und Eifersuchtsideen. „Die Suizidquote nimmt dramatisch zu.“ Nach Absetzen der Rauschdrogen kann es noch Monate später ohne vorhergehende Warnsymptome zum sogenannten Flashback („Nachrausch“) kommen. Meist wird dann von Säugetieren berichtet, die bunte Eier legen. Insbesondere von Hasen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen