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Selbstironie und gutes Koks

■ Fernsehen kann ja so spannend sein: "Die Stimme des Mörders" (20.15 Uhr, RTL)

Visionen. Ungekürtes „Unwort des Jahres“ – wo immer dieser Tage junge erfolgreiche Menschen ihren erfolgreichen Mund nicht halten können, sind Visionen nicht weit. „Wir brauchen heute Visionen für die Realitäten von morgen“, sagt denn auch Immobilienmakler Heintzen, als ihn der Zuschauer zum ersten Mal zu Gesicht bekommt. Mit derartig modischen Plattitüden kann er jedoch nicht nur irgendwelche Investoren für das zu verhökernde Brachland gewinnen, sondern auch den Zuschauer fürs Zuschauen.

Wen nicht bereits die Vorspannsequenz von „Die Stimme des Mörders“, in der zwei Polizisten in ihrem Dienstwagen in einer Autowaschanlage erschossen werden (... grünes Auto — blaue Bürsten — rotes Blut — Schnitt!) zum Dranbleiben animieren kann, wird spätestens anläßlich Heintzens „Visionen“ aufhorchen müssen und die Fernbedienung zur Seite legen. Nur selten sind Fernsehdialoge so nah dran am Zeitgeschmack und dem Milieu, das sie bezeichnen sollen.

Claus Heintzen (Jochen „Balko“ Horst) ist so erfolgreich, daß er sich nicht nur kurze Hosen und wasserstoffblondgefärbte Haare leisten kann, sondern darüber hinaus auch den Luxus der Selbstironie – und gutes Koks natürlich. Doch das ist für Heintzen eigentlich Vergangenheit. Seit er schon einmal wegen einer Kokain- Geschichte mit der Polizei zu tun hatte, ist er clean. Außerdem hat er als moralische Korrekturinstanz seines gewissenlosen Tuns die Journalistin Laura Wolf (Horst- Ehefrau Anouschka Renzi) an seiner Seite. Doch Laura ist leider 1) an einer ganz heißen Story dran und 2) davon überzeugt, ihren Schatz in flagranti mit seiner Ex beim Rückfällig-Werden erwischt zu haben. „Ich find' dich zum Kotzen!“ sagt sie. „Dann kotz doch!“ sagt er.

So gehen die beiden zunächst getrennte Wege: Sie macht erste Fortschritte bei der Recherche; er treibt sich auf Berlins first class-Immobilienbaustellen herum. Einige durchaus plausible Zufälle und Unvorhersehbarkeiten später werden die bisher getrennten Handlungsstränge jedoch zu einem einzigen verquickt und Heintze zur Schlüsselfigur in einer Geschichte um Drogen, Mord und korrupte Polizisten...

Es hilft nichts, „Die Stimme des Mörders“ ist genau so, wie es uns die inflationären Vokabeln der Programm-Ankündigungen tagtäglich weismachen wollen: spannend, packend, rasant, intelligent – ein echtes „TV-Highlight“ eben. Und wenn ein guter „Tatort“ immer noch der Maßstab ist, an dem sich ein Fernsehkrimi messen lassen muß, dann ist es Regisseur Otto Alexander Jahrreiss gelungen, aus dem Drehbuch von Leo P. Ard und Birgit Grosz einen Thriller zu machen, der einem guten „Tatort“ durchaus ebenbürtig ist. Wenn Jochen Horst sich mitten auf der Friedrichstraße etwa eine Zigarette anzündet und im selben Augenblick im Bildhintergrund ein roter Jaguar explodiert, dann kann man für die Szene das Fernsehgerät auf Schwarzweiß umstellen und denken: Hitchcock hätte es nicht besser gemacht.

Überhaupt sind es die vielen kleinen, phantasie- und liebevollen Details, die aus dem Film derart gute Unterhaltung machen: Wenn sich Heintzen beispielsweise vor dem Mörder, statt im Kleiderschrank, in einer Sauna versteckt und dort, um blickdichten Dunst zu erzeugen, auf die heißen Steine pinkelt; oder wenn er in aller Eile versucht, mehrere Kilo Kokain und eine Handycam in einem Aktenkoffer unterzubringen, in den das alles gar nicht paßt, dann ist das zwar nicht handlungstragend, aber auch nicht überflüssig.

Wer hätte gedacht, daß man den einstigen „Tutti Frutti“-Sender RTL für seine Eigenproduktionen eines Tages einmal derart würde loben müssen. Hatten wir die populären Theorien vom billigen Kommerzfernsehen inzwischen nicht alle irgendwie liebgewonnen? Mag sein, „Die Stimme des Mörders“ ist auch weiterhin nur bedingt repräsentativ für das, was die privaten TV-Sender dem Zuschauer zu bieten haben. Aber schließlich brauchen wir doch auch heute schon (Tele-)Visionen für die Realitäten von morgen. Christoph Schultheis

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