■ Schlagloch: Alles gesagt, alles vergessen Von Christiane Grefe
„Politiker denken nicht über eine Legislaturperiode hinaus. Wenn diese Annahme der Pessimisten stimmt, dann sehen die noch weniger optimistischen Klimaforscher die Welt in mächtigen Schwierigkeiten.“
„The Guardian“, 11.12.
Bahnfahren gehört zum Schönsten. Entspannt durch Dezemberfrühnebel und verschneite Wiesen gleiten. Das Mobilitätsgewissen ist vergleichsweise ruhig, der Nacken nicht, wie am Lenkrad, verkrampft. Und man kann lesen, in aller Ruhe. Briefe, Bücher, vor allem frische Zeitungen, stapelweise. Von München bis Bonn genug Muße auch für die kleinen Meldungen, die man sonst überliest. Manchmal allerdings kommt dabei das Gefühl auf, auch im Intercity bloß auf der Stelle zu fahren.
Kurz nach Augsburg fing es an, als mein Gegenüber, ein Herr in Kaschmir, mir verständnisheischend zunickte: „Dieser Bahnservice sei ja wohl miserabel“ – er stellte sich als „68er“ vor –, „schon allein die Rotweinauswahl!“ Aber vor allem der Zeitverlust, eine Zumutung: „Nächstes Mal nehme ich wieder den Flieger.“ Wir kamen beim Nachrechnen auf gerade mal eine Stunde mehr, fünf- statt viereinhalb; der übliche Wahn. Doch schwer erträglich, wenn man gerade im britischen Guardian liest: „Die große Überlebensfrage“, einen Artikel voll „kalter Fakten über Erwärmung“.
Darin stand, daß in zwölf Staaten des südlichen Afrika das wichtigste Grundnahrungsmittel für hundert Millionen Menschen nicht mehr geerntet werden könne: die Anbausaison für Mais sei zu kurz, er herrsche zu lange Trockenheit wegen der Klimaverschiebung. Die 1.700 Bewohner einer Salomoneninsel namens Carteret, wird berichtet, seien schon auf der Suche nach einer neuen Bleibe, weil ihr von Überschwemmungen bedrohtes, kürzlich sogar ganz überflutetes Eiland in fünf Jahren als unbewohnbar gelte. Doch weder die UN-Arbeitsgruppe aus 150 Nationen, die letzte Woche in Genf über die Reduzierung der Treibhausgase verhandelte, noch die EU- Umweltminister haben sich auf ein verbindliches Programm zur Reduzierung des CO2-Ausstoßes einigen können. Weil der Druck der Industrielobbies zu stark sei, schreibt der Autor Paul Brown: „Der Klimaschutz überfordert offenbar unser politisches System.“
Ein falscher Satz, voller Sprengstoff, denn welches System wäre die Alternative? Richtig ist, daß die Klimakatastrophe, während sie immer realer wird, im Strudel der alles beherrschenden Standorthysterie aus Politik und Medien verschwindet. Auch in der Bundesrepublik, wo wir uns gern das Vorbildmäntelchen umhängen, rasen wir dem Problem einfach mit 220 Sachen davon. „Alles gesagt, alles vergessen“: So, wie draußen die Häuser, Wälder, Dörfer in der Geschwindigkeit ihre Konturen verlieren, rauschen auch die Informationen an uns vorbei. Bis wir uns, wie im Zug, die Zeit nehmen, mal wieder genau hinzusehen.
Um dann nicht nur zu lesen, sondern auch wahrzunehmen, daß Angela Merkel zwar ihr Ziel, den CO2-Ausstoß in Deutschland bis 2005 um ein Viertel zu vermindern, allerorten wie ein Mantra wiederholt – doch ohne Aussicht, es zu erreichen (kommentiert die Wirtschaftswoche, während draußen das Ulmer Münster vorbeischwebte). Daß Helmut Kohls vor vier Jahren in Rio mit großem Pathos versprochene Hilfe für den Regenwald Showbusiness bleibt; das Geld liegt ungenutzt auf dem Konto (Spiegel). Die Wochenpost malt aus, wie CDU und SPD nach zwei zielstrebig gescheiterten „Konsens“-Anläufen in der Energiepolitik jetzt den Deal unter sich ausmachen: Tausche Aufschub des Atomenergieausstiegs gegen Aufschub des Subventionsabbaus für sozialdemokratisch regierte Kohle (den das Worldwatch-Institut gerade als „Raubbau“ kritisierte).
Rasende Stagnation also und noch mehr davon: Die Liberalisierung des europäischen Energiemarktes fördert Monopole, deren Interesse einzig der Verkauf von möglichst viel Strom ist.
So ist schon in Stuttgart von der aufgeblasenen ökologischen Vorbildillusion nichts mehr übrig. Der neue Verdrängungsmainstream, der wieder ganz der alte ist, hat alle mitgerissen: Ökologie gilt wieder als Luxus, den man sich erst leisten kann, wenn die Wirtschaft bedient ist. Im Speisewagen schimpfen zwei Ruhrgebietsmuttis mit zwei Herren von der Modewoche über den Arbeitsplatzexport. Ein Student schluckt Tomatenspaghetti runter und sagt, Politik, auch Umweltpolitik, sei für ihn eine ferne Angelegenheit, die gleichwertig neben dem Schwafeln seiner Eltern und WOM, dem CD-Laden, stehe. Und eine gespensterhaft ganz in Schwarz gekleidete Vierzigjährige ist unnahbar in Herrn Enzensbergers luxuriös unbrisanten Spiegel-Essay über den Verfall der Luxuskultur vertieft.
„Larmoyanter Ökopessimismus!“ höre ich beim Blick aus dem Fenster die „Ökooptimisten“ im Geiste; die Gesellschaft sei doch in Wirklichkeit längst viel weiter als die Bonner Politik. Und tatsächlich geschieht eine Menge: Kommunen erproben Modelle der dezentralen Stromversorgung, Bürger gründen eine Energiestiftung, teilen Autos, Firmen stehen mit Naturschützern intensiv im Dialog.
Im für die Klimapolitik notwendigen großen Stil stoßen diese Erfolge jedoch an die Grenzen einer zuwiderlaufenden Rentabilitätslogik: Ein ökologischer Markt braucht den entsprechenden politischen Rahmen, ohne starke Gesetze aus Brüssel und Bonn kriecht die Fortschrittsschnecke zu langsam voran.
„Ökooptimisten“, die ihre gesellschaftlichen Aktivitäten nicht mit dieser politischen Ebene verbinden, ziehen sich selbst einen Zahn zum Beißen. Und statt des angeblichen „Öko(logie)pessimismus“ sollten sie lieber den „Öko(nomie)pessimismus“ einer Bundesregierung angreifen, die der Wirtschaft nicht mal die kreative Anpassung an die arbeitsplatzschaffende und energiesparende Logik einer Ökosteuer zutraut: weniger Kohle, Fernwärme, Chemie, dafür mehr Heizungstechnik, Energiesparautos, Produktkreisläufe, Solarenergie – das wäre mit Hilfe weiter Teile des Mittelstands, der Gewerkschaften, sogar einiger Automanager längst durchsetzbar. Statt dessen besetzt soeben der amerikanische Bechtel-Konzern den Photovoltaik-Markt in China und Südostasien. Und meine Bahnfahrkarte bleibt doppelt so teuer wie das Lufthansa-Ticket.
Bahnfahren gehört zum Schönsten – ratlose Bestandsaufnahmen aber nicht. 1997 ist ein ökologisches Schicksalsjahr: das Jahr des Klimagipfels in Kyoto, bei dem ein verbindliches Emissionsprotokoll verabschiedet werden soll; bis dahin muß das Thema wieder in die Mitte der politischen Agenda gestemmt werden. Den Schwung dafür können wohl nur die Grünen aufbringen – und auch sie nur, wenn ihnen der oft verlorengegangene Schulterschluß mit der gesellschaftlichen Umweltbewegung wieder gelingt. Der Druck auf die verlogene Bundesregierung muß steigen. 1997 ist auch das Jahr vor der Bundestagswahl. Wenn das keine Chance, sondern ein Hindernis wäre, dann hätte Paul Brown doch recht mit seinem Urteil über das politische System. Und der Klimazug führe endgültig ab.
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