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Ein Lernprozeß, teuer bezahlt

Vor fünfzig Jahren begann der Unabhängigkeitskampf Vietnams gegen Frankreich. Es war der Startschuß zur Auflösung des französischen Kolonialreiches. Aber sein Scheitern begriff Frankreich erst später  ■ Von Christian Semler

1945 schlug die Todesstunde des Kolonialismus. Aber die europäischen Kolonialmächte verstopften sich die Ohren. Der Abschied von den Kolonialreichen gestaltete sich langwierig, war fast überall Resultat militärischer Niederlagen.

Trennungsschmerzen sind allerorts noch spürbar, auch und vor allem in Frankreich, dem an diesem 19. Dezember eine Trauerarbeit besonderer Art bevorsteht. Fünfzig Jahre ist es her, daß in Vietnam ein Volksaufstand gegen die Kolonialherrschaft losbrach. Er endete Mai 1954 mit der katastrophalen Niederlage der französischen Kolonialtruppen in Dien Bien Phu.

Der Aufstand des Dezember 1946 hatte eine lange, bittere Vorgeschichte, in deren Zentrum die Lernunfähigkeit der französischen politischen Eliten steht. Vergebens hatte Nguyen Ai Quoc, uns unter seinem späteren Namen Ho Chi Minh bekannt, schon auf der Versailler Friedenskonferenz von 1919 die Selbständigkeit „Indochinas“, also Vietnams, Laos' und Kambodschas, gefordert. Er kämpfte ohne Erfolg dafür, daß die französische Kommunistische Partei, zu deren Gründungsmitgliedern er gehört hatte, konsequent antikolonialistische Positionen bezog. Auch die französische Volksfrontregierung ab 1936 dachte nicht daran, den Kolonialstatus Indochinas auch nur zu modifizieren. Nach der Niederlage Frankreichs gegen Nazi-Deutschland ging das Kolonialregime in Indochina auf Kollaborationskurs, gewährte Japan Stationierungsrechte und schlug nebenbei noch einen Bauernaufstand nieder. Das Kolonialregime begab sich während des Zweiten Weltkrieges sang- und klanglos in die Hände der Japaner.

Das erwies sich für Vietnams Kommunisten als vorteilhaft. Nachdem Ho Chi Minh 1930 die „Kommunistische Partei Indochinas“ als kleine agrarrevolutionäre Truppe gegründet hatte, bildete er 1941 die Vietminh als nationale antikoloniale Organisation, die ihre Türen auch für „patriotische“ Grundbesitzer und Unternehmer öffnete. Sie wurde zu einer Massenbewegung – Voraussetzung für den späteren Volkskrieg.

Auch als in Frankreich General de Gaulle die Überhand gewann, blieben die Vietminh auf ihrem antijapanischen und antifranzösischen Kurs. Erleichtert wurde dies durch die USA, die damals in der Vietminh eine Befreiungsbewegung sahen und sie unterstützten. Diese Position änderte sich erst mit der Machtübernahme der Kommunisten in China 1949.

Ho Chi Minh – ein flexibler vietnamesischer Patriot

Aber da war es schon zu spät, das militärische Kräfteverhältnis in Indochina umzudrehen. Angesichts der Kapitulation Japans und der Schwäche Frankreichs hatte die Vietminh im August 1945 die Gunst der Stunde genutzt und eine Demokratische Republik Vietnam ausgerufen. Geschickt komplimentierten sie die chinesische Kuomintang-Armee, die nach einem Beschluß der Potsdamer Konferenz eingerückt war, aus dem Norden des Landes. Im Süden erwies sich das gleiche Manöver gegenüber den Engländern, die ebenfalls auf Grund des Potsdamer Beschlusses an Land gegangen waren, als schwieriger. Die englischen Besatzer erlaubten, was die USA verboten hatten: die Rückkehr französischen Militärs. 1946 verhandelte Ho Chi Minh in Paris mit Frankreich. Seine Strategie war flexibel – er löste sogar die Kommunistische Partei auf. März 1946 erkannte ein vorläufiges Abkommen Vietnam als freie Republik im Rahmen einer Indochina- Föderation innerhalb der „Französischen Union“ an.

Aber dieses Abkommen war nur eine französische Finte. Im Oktober wurde in Frankreich eine neue Verfassung angenommen, die keine unabhängigen Mitgliedsstaaten in der „Union“ vorsah. Im Gegenzug verabschiedete Vietnam im November ebenfalls eine Verfassung, die die „Union“ unerwähnt ließ. Die Vietminh-Regierung reformierte die Währung und führte neue Zollgesetze ein. Als sie ein Ultimatum Frankreichs unbeantwortet ließ, bombardierte die französische Luftwaffe am 23. November 1946 die vietnamesischen Stadtviertel der Hafenstadt Haiphong. Am Abend nach dem Angriff wurden 6.000 Tote gezählt. Dieses Massaker wurde von einer Regierung verübt, der der ehemalige Ministerpräsdent der „Volksfront“, Léon Blum, vorsaß und an der Frankreichs Kommunisten beteiligt waren. In den folgenden drei Wochen kam es zu ununterbrochenen bewaffneten Zusammenstößen, bis die Vietminh-Regierung am 19. Dezember das Signal zur allgemeinen Erhebung gab.

Hätten die blutigen Kriege, die darauf folgten, vermieden werden können? Zweifellos war Ho Chi Minh ein harter Kommunist, aber er war auch ein Patriot. Er war mehr an Ergebnissen als an völkerrechtlichen Finessen interessiert. Die „Union“ mit Frankreich hätte er als Übergangsstadium akzeptiert. Es war die politische Klasse Frankreichs, die sich einer „weichen“ Entkolonialisierung widersetzte. Sie brauchte noch Niederlagen am Suez-Kanal und in Algerien, um ihre Lektion zu lernen.

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