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Gnade für „Mutter Gnädig“ aus Syke

■ Richterin bevorteilte angeblich „Verkehrsraser“: Freigesprochen

Berlin (taz) – Edda Frerker sagt: „Ich rase nie.“ Das ist ihr zu glauben, denn erstens sieht sie in ihrem braunen Strickkleid und der Perlenkette um den Hals nicht so aus, als ob sie Schumi Konkurrenz machen wolle. Und zweitens fährt die 56jährige einen Mercedes 190. Diesel. Edda Frerker ist Amtsrichterin im niedersächsischen Syke bei Bremen. Gestern stand sie vor Gericht. Die 5. Strafkammer des Bundesgerichtshofs (BGH) verhandelte in Berlin über den Vorwurf der „Rechtsbeugung“.

Bundesweit bekannt wurde Richterin Frerker unter dem Schmähnamen „Mutter Gnädig“: Seit Jahren wirft ihr die Staatsanwaltschaft vor, sie spreche bei Verkehrsrasern zu milde Urteile. Insgesamt 20 Schuldsprüche waren den Staatsanwälten sauer aufgestoßen — sie wurden in der Revision vom Oberlandesgericht Celle an das Amtsgericht Syke zurücküberwiesen. Zuständige Richterin: Edda Frerker. Die urteilte genauso wie vorher.

Die Staatsanwaltschaft schäumte und verklagte die Richterin wegen „Rechtsbeugung“, da sie „bei der Leitung und Entscheidung von Rechtssachen zugunsten einer Partei“ beeinflußt gewesen sei. Frau Frerker sagt: „Denen geht es nur um Macht.“ Sie habe sich bei ihren Urteilen streng an die gültige Rechtsprechung gehalten. Das Landgericht Verden gab ihr recht. Die Staatsanwaltschaft ging in die Revision vor den BGH.

Bei den beanstandeten Fällen ging es zum Beispiel um einen 43jährigen Frührentner, der im Juli 1993 in einem Waldstück innerhalb einer Ortschaft mit 83 km/h geblitzt worden war. Erlaubt waren 50 km/h. Die Bußgeldkatalog- Verordnung sieht in diesem Fall eine Geldbuße von mindestens 150 Mark, drei Punkte in Flensburg und ein einmonatiges Fahrverbot vor. Frau Ferker verurteilte den Mann, der im Rollstuhl sitzt und in armen Verhältnissen lebt, zu einem Bußgeld von 200 Mark.

Das sei zu wenig, schimpfte die Staatsanwaltschaft. Aber, so die mutige Richterin, wie solle sie den Frührentner zu 400 Mark verurteilen, wenn er die 200 Mark schon nicht habe? Auf das Fahrverbot habe sie verzichtet, weil der behinderte Mann auf sein Auto angewiesen sei. Abgesehen davon sei er vorher noch nie im Verkehr aufgefallen.

Bei der gestrigen Verhandlung in Berlin ging es noch um fünf Fälle, in denen die Staatsanwaltschaft nach wie vor Rechtsbeugung erkennen will. Doch selbst der Vertreter des Generalbundesanwalts als Klageführer konnte nicht nachvollziehen, warum Richterin Frerker ein Vorwurf zu machen sei. Leichtes Spiel also für den Verteidiger, Jochen Heidemeier. Der war heiser, denn: „Verehrte Kammer, im Nordwesten Ihres Gerichtssprengels weht ein kalter Wind.“ Heidemeier wies darauf hin, daß seine Mandantin immer individuell entschieden habe — und das mit vollem Recht, auch wenn der Generalstaatsanwalt in Celle das „mit landestypischer Dickköpfigkeit“ nicht einsehen wolle. Bei der Klage handele es sich um einen Angriff auf die richterliche Unabhängigkeit. Die Kammer sah das offensichtlich genauso: Sie verwarf die Revision.

Raser in und um Syke müssen trotzdem aufpassen. „Wenn einer mit 130 km/h durch eine 70- km/h-Zone fährt“, sagt Richterin Frerker, „dann gibt es – zack! – ein Fahrverbot.“ Florian Gless

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