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■ Ritas VitaEine salonfähige Christdemokratin

Noch im Frühjahr 1985 gehörte sie innerhalb ihrer Partei nicht eben zur Prominenz. Zwar arbeitete Rita Süssmuth, am 17. Februar 1937 in Wuppertal geboren, schon in den siebziger Jahren in Kommissionen mit, die sich um Familienfragen kümmerte. Um so überraschter reagierte die christdemokratische Nomenklatura, als Bundeskanzler Kohl sie am 26. September 1985 als Nachfolgerin Heiner Geißlers zur Bundesministerin für Jugend, Familie und Gesundheit kürte. Von ihr, so schloß man flüchtig, sei nun die 1982 von Kohl angekündigte „geistig-moralische Wende“ zu erwarten. Es kam – auf ihre Art – ganz anders: Die Lehrstuhlinhaberin für Erziehungswissenschaften an der Universität Dortmund enttäuschte diese Erwartungen zutiefst. So lehnte sie es strikt ab, den kassenärztlichen Schutz bei Abtreibungen aufzuheben. Und auf dem Höhepunkt der ersten Hysterie um Aids war sie es, die polizeistaatlich inspirierten Plänen aus dem Hause Gauweiler am entschiedensten entgegentrat und offen für eine aufklärerische Politik warb. Süssmuth war es, die das Gespräch um Sexualität auch innerhalb wertkonservativ- liberaler Kreise salonfähig machte. Und welch ein Affront für Freunde der traditionellen Familie, als die Katholikin betonte, Familienpolitik nicht nur für Verheiratete zu machen. Seit 1987 gehört sie zu den populärsten Politikern der CDU – Wahlforscher glauben, die CDU habe mit ihr viele Stimmen aus der bürgerlichen Mitte gewonnen. Ins Visier von Parteifreunden geriet sie endgültig, als sie forderte, auch die Vergewaltigung in der Ehe unter Strafe zu stellen, und dafür eintrat, neue Wege in der Drogenpolitik („Milde für Süchtige, Härte gegen Dealer“) zu gehen. Nach Philipp Jenningers Demission vom Posten des Bundestagspräsidenten lobte der Kanzler sie auf dessen Stuhl weg: Sie war ihm zu einflußreich geworden. Endgültig verscherzte sie es sich mit den einflußreicher werdenden Neo- und Altnationalen in ihrer Partei, als sie 1994 den CDU- Bundespräsidentenkandidaten Heitmann wegen „Verharmlosung“ der NS-Zeit attackierte. Das sozialdemokratische und grüne Spektrum enttäuschte Süssmuth, als sie nicht ihren Gruppenantrag zum Paragraphen 218 unterstützte.

Foto: J. H. Darchinger

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