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Marktöffnung umstritten

Berlin und Brandenburg wehren sich wegen energiepolitischer Bedenken gegen die geplante schnelle Liberalisierung der Stromversorgung  ■ Von Anne-Kathrin Schulz

Während das Europaparlament am 11. Dezember der Liberalisierung des europäischen Strommarktes zugestimmt hat, wenden sich Brandenburg und Berlin gegen die von der Bundesregierung vorgelegte Novelle des deutschen Energiewirtschaftsgesetzes. Bemängelt wird, daß der Entwurf weit über die Vorgaben der EU- Richtlinie hinausgeht (siehe Kasten).

„Wir befürchten, daß eine schnelle Marktfreigabe lediglich die sehr großen Energieunternehmen stärkt“, sagt Manfred Ronzheimer von der Berliner Senatsverwaltung für Stadtentwicklung. Die Gesetzesvorlage beschneide zudem den Einfluß der Bundesländer in der Energiepolitik. Auch Brandenburg sieht nicht nur die Zukunft seiner Stadtwerke, sondern der gesamten noch jungen ostdeutschen Energiewirtschaft gefährdet. Manche Unternehmen haben bereits hohe Investitionen zu verkraften. So wird das ostdeutsche Verbundunternehmen Veag bis zum Jahre 2005 20 Milliarden Mark in die Sanierung und den Neubau von Braunkohlekraftwerken investieren. „Wir befinden uns in einer völlig anderen Situation als Unternehmen in Westdeutschland“, so Veag-Sprecher Albrecht Schleich. „Wettbewerb ja, aber nur mit Chancengleichheit“, fordert er deshalb.

Besonders mißtrauisch guckt man nach Osten. Von dort drohen billige, weil unter schlechten ökologischen und sozialen Bedingungen erzeugte Stromimporte. „In den nächsten zehn Jahren wären wir wegen der hohen Kostenbelastung nicht in der Lage, dagegen standzuhalten“, so Schleich. Gefordert wird daher, die ostdeutsche Energieversorgung erst nach einer Übergangszeit für den Markt freizugeben. Brandenburg fürchtet auch den direkten Wettbewerb unsubventionierter heimischer Braunkohle mit der billigeren polnischen und tschechischen.

Eine sofortige Marktöffnung würde zusätzlich die Situation der Arbeitnehmer verschlechtern, meint Ulrich Freese, Energieexperte der Brandenburger SPD, der zugleich Vorsitzender der Lausitzer IG Bergbau ist: „Der Kostendruck zwingt zur Rationalisierung, und da ist der Block Personalkosten immer als erster dran.“ Schon jetzt liegt die Arbeitslosenquote in klassischen brandenburgischen Tagebaugebieten bei über 20 Prozent. Eine Studie der Technischen Universität Cottbus rechnet sogar mit einem Rückgang der derzeit 14.000 auf unter 10.000 Arbeitsplätze.

Aus umweltpolitischer Sicht scheint die Liberalisierung ebenfalls problematisch. In Berlin betreibt die Bewag die größte Fernwärmeversorgung Westeuropas. Massive Stromversorgung von außen könnte dieses Prinzip unterlaufen. Und für die Zukunft alternativer Energieformen wie Wind- oder Solarkraft, deren vergleichsweise teure Produktion derzeit durch gesetzliche Abnahmeverpflichtungen der Großerzeuger mitfinanziert wird, sieht Felix Christian Matthes vom Berliner Öko- Institut schwarz: „Wenn nur noch der Preis zählt, wird die Energiewirtschaft versuchen, das Einspeisegesetz zu kippen.“ Er fordert, diesen Entwicklungen zum Beispiel mit einer Ökosteuer politisch zu begegnen – zur Finanzierung von umweltpolitischen Zielen.

Den Kommunen drohen jetzt schon neue Löcher in den Kassen. Rund sechs Milliarden Mark jährlich muß die deutsche Energiewirtschaft bisher als sogenannte Konzessionsabgabe für die Nutzung öffentlichen Bodens zahlen – Geld, mit dem viele öffentliche Aufgaben wie Theater oder Schulen mitfinanziert werden. „Wie das bei einem freien Markt aussehen soll, ist schlicht nicht geregelt“, sagt Patricia Schuster vom Brandenburger Wirtschaftsministerium.

Währenddessen steht die Wirtschaft der Liberalisierung aufgeschlossen gegenüber: „Wir sehen die Entwicklung sehr positiv“, so Dietmar Krohm vom Berliner BMW-Motorradwerk, das mit einem jährlichen Stromverbrauch von rund 50 Gigawattstunden Großkunde der Berliner Bewag ist. Kriterium für den Wareneinkauf sei nicht zuletzt der Preis, das gelte auch für Energie. „Das erweitert unsere Möglichkeiten“, heißt es auch bei Siemens.

Die Bewag sieht dem zukünftigen Wettbewerb dennoch gelassen entgegen. Das Unternehmen, für dessen zum Verkauf stehendes Aktienpaket sich neben der Veag auch die westdeutschen Energiegroßkonzerne Viag und RWE interessieren, sei, sagt Sprecher Reinhard Heitzmann, „schon seit Monaten dabei“, sich durch Rationalisierungen und neue Dienstleistungen wettbewerbsfähig zu machen. Sicher sei, so Heitzmann, daß die Industriestrompreise, die in Berlin aufgrund der einseitigen Inselstruktur immer noch überdurchschnittlich hoch sind, „wesentlich gesenkt werden“.

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