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Gras-Aufzucht erlernen, erleben, erleiden

■ Der Heimanbau von Cannabis boomt. Markt wächst in kapitalistischer Grauzone: Der Anbau selbst ist strafbar, nicht jedoch der Verkauf von Beleuchtung, Lüftung und Dünger

Junggärtner Stefan lobt die Frucht seiner Arbeit: „Exzellenter Törn, feiner Abgang.“ Beim Geburtstagsbrunch kreist die Tüte – in klassischer Anlehnung an Peter Fondas unsterblichen Satz aus dem Kultfilm „Easy Rider“: „Morgens ein Joint, und der Tag ist dein Freund.“

Stefan ist neu in der Gemeinde der HanfanbauerInnen, die Cannabispflanzen auf Balkonen, Fensterbänken und in Besenkammern züchten, um daraus Marihuana, landläufig „Gras“ genannt, zu gewinnen. Gerade hat er seine erste Anbauperiode hinter sich. Das Ergebnis kann sich sehen und rauchen lassen: eine Plastiktüte mit einigen hundert Gramm getrockneten Cannabisblüten.

Aber die Aufzucht will erlernt, erlebt und erlitten werden. Einen Sommer lang räumte Stefan die Blumenkübel morgens auf den sonnigen Balkon, zwölf Stunden später trug er sie wieder ins Badezimmer und verschloß die Tür, um ihnen die notwendige Nachtruhe in Dunkelheit zukommen zu lassen. Für die Familie war das Bad in dieser Zeit tabu, denn der kleinste Lichtstrahl hätte das Wachstum der törnenden Blüten behindert.

Solche Kunden sind Guido Schlootz die liebsten. Der Einzelhändler betreibt das „Drogenkaufhaus Sun Seed Bank“ an der Wiener Straße in Kreuzberg, wo er alles verkauft, was die Wohnung zur Hanfplantage macht. „Wenn man sich eingehend mit ihr beschäftigt, ist die Droge nicht gefährlich“, ist Schlootz' Credo. Ein Dorn im Auge sind ihm allerdings die Leute, die sich ohne Sinn und Verstand den Stoff einpfeifen oder sich bei ihm mit Utensilien eindecken, um mit dem kommerziellen Verkauf des heimangebauten Grases die schnelle Mark zu machen. Da kann es schon mal vorkommen, daß er den unliebsamen Kunden nichts verkauft und sie wieder fortschickt, sagt er.

Das können sich die beiden Sun-Seed-Eigentümer auch leisten. „Das Geschäft boomt“, weiß Guido Schlootz. Rund zehn Läden gebe es mittlerweile in Berlin, die vom Samenkorn über die Hochleistungs-Pflanzenlampe bis zum Spezialdünger aus Holland die gärtnerische Grundausstattung feilbieten. Pro Tag verkauft Sun Seed im Durchschnitt eine Anlage mit Blumentöpfen und Erde, die zwischen 650 und 770 Mark kostet und 300 bis 400 Gramm Gras pro Saison erbringt.

Die für die KundInnen exakt aufgelistete Wirtschaftlichkeitsberechnung des privaten Wohnzimmertreibhauses belegt, daß ein Gramm guter Stoff am Ende 2,49 Mark oder weniger kostet. Wer auf der Straße kauft, bekommt schlechtere Qualität zum sechsfachen Preis. Ein überzeugendes Argument, das dem Heimanbau zu Popularität verhilft. Vor allem aber, da sind sich Stefan und seine Brunch-Gäste einig, leiste die abnehmende gesellschaftliche Tabuisierung des Hanfes und die geringere Verfolgung durch die Justiz der Home-Grow-Bewegung Vorschub.

Die fröhliche Gärtnerei geht in einer typisch kapitalistischen Grauzone vonstatten. Der Anbau von törnenden Hanfpflanzen ist noch immer gesetzlich verboten, der Verkauf der nötigen Utensilien aber legal. Nur die VerkäuferInnen, die ihre KundInnen „auffordern“, mit Hilfe der hochpotenten Hanfsamen, Blumenkübel und Lampen Marihuana herzustellen, machen sich strafbar, erklärt das Landeskriminalamt (LKA). Verkauf und Profit selbst gelten dagegen als wertfrei und nicht als eine solche Aufforderung.

Bei der Verfolgung der privaten Züchter gibt sich die Staatsmacht schon lange keine Mühe mehr. Die Polizei schaut eher weg als hin, ragen irgendwo die charakteristischen Pflanzen über die Balkonumrandung. Der offizielle Besuch erscheint als zu lästig – es sei denn, Nachbarn haben Anzeige erstattet. So ist es nicht verwunderlich, wenn Rüdiger Engler vom Rauschgiftdezernat des LKA erklärt: „Wir haben 1996 keine Zunahme des Heimanbaus festgestellt.“

Stefan ist da anderer Ansicht. Beim Gang durch die Straßen weist er hier in Richtung eines Balkons, dort zu einem Wohnzimmerfenster, oder er deutet in einen Hinterhof. Dort überall habe er vor ein paar Monaten die Cannabispflanzen gesehen – wesentlich häufiger als früher. Indizien für den Anbauboom oder nur subjektive Eindrücke betriebsblinder GärtnerInnen? Eine Statistik, die Aufschluß geben könnte, liegt noch nicht vor. Hannes Koch

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