: „Die kriegen doch 'nen Schock“
Nach dem Aus droht der traditionsreichen „Wochenpost“ nun die Abwicklung als Beilage der modischen „Woche“. Dort sollen die Ost-Abonnenten endlich für schwarze Zahlen sorgen ■ Von Oliver Gehrs
Der Zettel am Schwarzen Brett klang einladend. Anläßlich der Auszeichnung ihres Redakteurs Alexander Neubacher lud die Wirtschaftsredaktion am Donnerstag nachmittag zum geselligen Umtrunk: „Wir freuen uns über jeden, der kommt.“ Wenig später waren alle da, getrunken wurde auch reichlich – nur zu feiern gab es nichts mehr: Denn soeben hatte Verleger Dietrich von Boetticher das definitive Ende der Wochenpost verkündet. Jede Ausgabe koste ihn mehr als die Abwicklung, ließ er die geschockten Mitarbeiter wissen. Deshalb werde die Wochenpost vom Januar an nur noch als Beilage der Hamburger Woche erscheinen. Das tat weh.
So sehr, daß nach Boettichers Auftritt erst einmal Ruhe herrschte. Selbst Chefredakteur Jürgen Busche, der erst Anfang des Jahres von der Süddeutschen Zeitung nach Berlin gekommen war, saß nur da und schwieg. Dabei hatten es doch eigentlich alle kommen sehen, nur glauben wollte es keiner.
Nach der Wende sank die Auflage des ehemaligen DDR-Millionenblatts auf kaum mehr als 100.000 Exemplare. Um die einstige Bückware zu retten, versuchte es Aufkäufer Gruner+Jahr erst mit dem Altlinken Mathias Greffrath als Chefredakteur, dann mit dem jung-dynamischen Mathias Döpfner. Als beide Konzepte scheiterten, verkaufte G+J entnervt 75 Prozent an den Multiunternehmer Dietrich von Boetticher, der gerade mit seiner Sammelleidenschaft für Verlage (Luchterhand, Volk&Welt, Artemis&Winkler) Aufsehen erregt hatte. Der hielt sich zwar mit neuen Zielen bedeckt, aber irgendwie machte der nobel gekleidete Wirtschaftsjurist aus München Eindruck.
Vielmehr machte er aber erst einmal nicht: Anstatt schleunigst einen eigenständigen Geschäftsführer zu installieren, überließ er das wichtige Abo- und Anzeigengeschäft dem Hamburger Großverlag, der denkbar wenig Verve an den Tag legte, das ungeliebte Ost-Erbe zu protegieren. Erst im Sommer 96 holte sich von Boetticher mit Johannes Weberling von der Berliner Zeitung einen eigenen Geschäftsführer. Zu spät – Auflage und Anzeigengeschäft kamen nicht mehr in Gang. Für von Boetticher Anlaß genug, sich ausgerechnet dem Hamburger Konkurrenzblatt Die Woche anzudienen. „Wie ein Kind, das sein altes Spielzeug wegwirft und zu Weihnachten ein neues will“, kommentiert eine langjährige Wochenpost-Mitarbeiterin von Boettichers Rochade. Für seine überraschende 46-Prozent-Beteiligung an der Woche (siehe Kasten) soll von Boetticher bis zu neun Millionen auf den Tisch gelegt haben – als Brautgeschenk gab's den Abonnentenstamm.
Für Woche-Verleger Thomas Ganske könnte die Vereinigung von Ost- und West-Zeitung die letzte Chance sein, seine enormen Anlaufverluste auszugleichen. Seit Wochen hält sich das Gerücht, daß die Wochenzeitung vom Hamburger England-Pier Mitte Februar die Segel streicht. Nun soll Woche- Chefredakteur Manfred Bissinger die Wochenpost als achtseitige Beilage für Ost-Themen integrieren. „Damit hält der von 60.000 Ost- Abonnenten vielleicht 600“, glaubt der ehemalige stellvertretende Chefredakteur Jürgen Gottschlich.
Daß die an zähe Grundsatz-Artikel gewöhnten Wochenpost-Leser auf einmal auf die locker-flockige Woche umschwenken, ist in der Tat schwer vorstellbar. Schließlich versucht die Hamburger Wochenzeitung schon seit Jahren in den neuen Ländern Fuß zu fassen – bislang ohne Erfolg. „Die kriegen doch einen Schock, wenn plötzlich so eine bunte Zeitung im Briefkasten liegt“, befürchten die Wochenpost-Redakteure.
Daß von denen viele nach Hamburg wechseln, ist eher unwahrscheinlich. Zwar überlegt Woche- Chefredakteur Manfred Bissinger, einige Edelfedern zu übernehmen, auf das Gros der 50 Mitarbeiter aber wartet nach dem verfrühten Weihnachtsurlaub allenfalls die Abfindung. So standen die meisten Redakteure Donnerstag abend noch recht lange in den Gängen und schauten resigniert in die Bierflaschen – unter ihnen der düpierte Chefredakteur Jürgen Busche. Der hatte immerhin seine Sprache wiedergefunden und bügelte lautstark Interviewwünsche ab: „Ich habe die Freiheit, nichts zu sagen.“ Viel mehr bleibt ihm wohl nicht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen