: Nach Bosnien, Abteilung marsch!
Heute beginnt in Bosnien-Herzegowina das Mandat der Sfor. Erstmals darf bei der Friedenstruppe die Bundeswehr richtig mitkämpfen. Ihr Einsatz ist lange vorbereitet worden ■ Aus Trogir Erich Rathfelder
In den Kasernen der Bundeswehr in der kroatischen Hafenstadt Trogir herrscht Abschiedsstimmung. „Viele von uns sind schon zu Weihnachten zu Hause“, freut sich ein Soldat. Mit einer Mischung aus Freude und Wehmut ziehen viele der deutschen Soldaten der „Implementation Force“ Ifor aus Kroatien ab. Sie werden abgelöst von anderen Bundeswehrsoldaten – sie stellen das deutsche Kontingent der neuen „Stabilisation Force“ (Sfor) in Bosnien. Die Mannschaften werden zum Teil ausgewechselt.
Das Mandat der Ifor läuft heute aus und wird durch das Sfor-Mandat ersetzt. Zwar werden die Truppen von rund 60.000 auf etwa 30.000 Mann reduziert, an ihren Aufgaben ändert sich jedoch zunächst nichts. In den nächsten 18 Monaten werden die internationalen Truppen der Sfor die Demarkationslinien wie bisher die Ifor überwachen, die Arsenale der Kriegsparteien inspizieren und neue Kämpfe verhindern.
Seit dem 20. Dezember 1995, dem Tag ihrer Installierung sind die Ifor-Truppen wie eine Besatzungsmacht vorgegangen. Anders als die UN-Blauhelme hatten sie das Mandat, Gewalt anzuwenden. Angesichts des Aufmarsches von zunächst 25.000 US-Truppen, die mit Hunderten von Kampfpanzern und Apachee-Kampfhubschraubern vom ersten Tag an ihre Macht demonstrierten, kam es zu keinen nennenswerten Zwischenfällen. Bosnien-Herzegowina wurde in einen US-amerikanischen, einen französischen und einen britischen Sektor aufgeteilt – eine vor allem für Westberliner vertraute Struktur. An dieser Struktur wird die Sfor nichts ändern. Und auch nicht daran, daß weiterhin 32 Nationen unter der Führung der Nato und US-Oberbefehl an der Truppe beteiligt sind, mehr Nationen als bei den UNO-Truppen zuvor.
Schon gleich nach dem Bundestagsbeschluß vom 13. Dezember, der den deutschen Truppen grünes Licht für ihren Einsatz in Bosnien-Herzegowina gab, setzten sich in Kroatien lange Konvois der Bundeswehr in Richtung Sarajevo in Bewegung. Erstes Material wird seither von der dalmatinischen Küste aus nach oben, in das im Bundeswehrjargon „Box“ genannte Bosnien gebracht. Denn die Vorauskommandos, die gestern pünktlich in Sarajevo eintrafen, brauchen Container und Material.
Ein großer Wunsch von Rühe geht in Erfüllung
Schon Mitte Januar soll das Gros der 2.000 Bundeswehrsoldaten in Sarajevo und auch in Mostar stationiert sein, 1.000 weitere Soldaten werden bei der Luftwaffe, der Marine und bei Logistikeinheiten außerhalb des direkten Operationsgebietes in die Aktion einbezogen. Das sind 1.000 Mann weniger als bisher in Kroatien.
Mit dem Einsatz in Bosnien geht ein großer Wunsch von Verteidigungsminister Volker Rühe in Erfüllung. Die Bundeswehr, die nach seiner Darstellung ihren Teil der „Verantwortung für die Friedenssicherung in Bosnien“ tragen soll, ist von nun an gleichberechtigtes Mitglied der internationalen Friedenstruppen. Bisher war sie das nicht – trotz aller gegenteiligen Beteuerungen.
Die Hardthöhe ging bei der Vorbereitung des Einsatzes in Ex- Jugoslawien von Beginn an vorsichtig vor: Die Deutschen sollten sich aus innenpolitischen wie auch aus außenpolitischen Gründen nicht allzusehr exponieren. Die deutschen Blauhelme, das Personal des Feldlazaretts in Trogir, wurden im Sommer 1995 lediglich an der kroatischen Küste und nicht in den damaligen Kriegsgebieten Bosniens stationiert. Auch bei der Mission der Nato im Rahmen von Ifor wurden lediglich Hilfsdienste angeboten. Und weiterhin blieben die Deutschen hübsch in Kroatien stationiert. Rühe selbst erklärte noch im Januar 1996: „Es wird keine Bundeswehrsoldaten in Bosnien geben.“
Der Öffentlichkeitsarbeit stand jedoch die langfristige Planung gegenüber. Mit den Hilfsdiensten für die Ifor gelangten Bundeswehrsoldaten schon ab Februar 1995 nach Mostar und Sarajevo und sogar auf serbisch kontrolliertes Gebiet – sie transportierten dabei 35.000 Tonnen Hilfgüter. Die Pioniereinheiten machten sich im Laufe des Frühjahrs und Sommers 1995 daran, neun Brücken zu bauen sowie Straßen von insgesamt mehr als 56 Kilometer Länge. Zusätzlich wurde von der Ifor benötigtes Gelände entmint. Im Herbst richteten sie eine im September 1995 durch Luftangriffe der Nato zerstörte Brücke in der serbisch kontrollierten Stadt Foca wieder her.
„Es war eine gute Erfahrung, die serbische Bevölkerung in Foca hat uns nach anfänglichem Zögern akzeptiert, mit Muslimen und Kroaten gab es ohnehin keine Probleme“, sagte kürzlich General Friedrich Riechmann, der Kommandeur des deutschen Ifor-Einsatzes, gegenüber der taz. Der serbisch-bosnische Oberst Slobodan Stancević bestätigte: „Wir haben nichts gegen die deutschen Truppen, wenn sie sich weiterhin strikt an das Mandat der Ifor oder Sfor halten.“ Eine erstaunliche Aussage von den serbischen Militärs, die seit Beginn des Kriegs in Deutschland einen ihrer Hauptfeinde gesehen haben.
Psychologisch scheint diese Erfahrung für die Bundeswehr ebenso wichtig zu sein wie die praktische Integration in die Ifor- Truppen. Innerhalb der multinationalen Truppe – an der nicht nur Nato-Truppen beteiligt sind – wurden die Deutschen nach eigenen Angaben als „völlig gleichberechtigt“ aufgenommen. „Das internationale Flair hat unseren Leuten gutgetan“, meint Dietmar Jeserich, Sprecher der deutschen Militärrepräsentanten in Sarajevo, die sich schon im Frühjahr 1995 in dem zerschossenen Unis-Hochhaus – in dem auch die deutsche Botschaft ihren Sitz hat – eingerichtet hatten. Trotz gegenteiliger Beteuerungen des Verteidigungsministeriums wurde hier schon seit Oktober der jetzige Einsatz vorbereitet.
Die Bundeswehr wird in Bosnien-Herzegowina eng mit den Franzosen kooperieren, sie wird lediglich in dem „Französischen Sektor Süd-Ost“ eingesetzt, wo auch noch Italien, Marokko, Algerien und Spanien Einheiten abgestellt haben. Die Bundeswehr beschränkt sich zunächst darauf, mit französischen Truppen eine gemeinsam operierende deutsch- französische Einheit zu bilden. Der Oberkommandierende des gesamten Sektors Süd-Ost bleibt weiterhin ein Franzose, bei der deutsch- französischen Einheit werden sich ein Deutscher und ein Franzose als Kommandeure ablösen.
Unauffällig wird der deutsche Einsatz erweitert
Um die Angelegenheit noch zu verkomplizieren, wird es jedoch auch noch eine eigene Kommandostruktur für die deutschen Truppen in Bosnien-Herzegowina geben, das Hauptquartier dafür wird zur Zeit in Rajlovac bei Sarajevo errichtet. Die deutschen Truppen werden sich vor allem im Raum Sarajevo konzentrieren. Weiterhin bleiben rund 1.000 Soldaten bei der Luftwaffe und der Marine sowie dem Nachschub außerhalb Bosnien-Herzegowinas stationiert. Das Feldlazarett in Trogir wird auf fünfzig Beschäftigte verkleinert und nach Sarajevo verlegt. Hinter den Kulissen werden jedoch noch andere Weichen gestellt. Die enge Anbindung an die französischen Sfor-Truppen bedeutet nämlich nicht, daß der deutsche Einfluß auf den Sektor Süd-Ost begrenzt bleibt.
Das Kommando der Nato- Truppen in Bosnien-Herzegowina geht von der britisch dominierten ARRC (Allied Comand Europe – Rapid Reaction Force) mit Zentrale in Mönchengladbach auf eine andere Nato-Kommandozentrale über: die „Landcent“ (Landstreitkräfte Zentraleuropa), deren Zentrale in Heidelberg steht. Befehligen wird die Nato-Truppen ein US-amerikanischer General.
Im Kommandostab Landcent spielen die Deutschen eine große Rolle, so wird ein deutscher General den Stab leiten. Den deutschen Truppen werden zudem Spezialaufgaben zugewiesen, so bei der Aufklärung mit sogenannten Dronen – unbemannten Flugmaschinen, die das gesamte Einsatzgebiet kontrollieren können – wie auch mit der Installierung von Abhöranlagen zur Kontrolle des Telefon- und Funkverkehrs in ganz Bosnien-Herzegowina.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen