Die Trickser von Krümmel

Die Rolle des TÜV bei der Genehmigung des AKW wird immer zwielichtiger, meint Robin Wood. Inzwischen ermittelt auch die Staatsanwaltschaft  ■ Von Reiner Metzger

Ruhig steht das Atomkraftwerk Krümmel am Elbufer, als könnte es niemandem ein Härchen krümmen. Kann es auch nicht, meinen die Betreiber. Die Anwohner hingegen haben eine ganz andere Meinung: Immerhin sind in den umliegenden Dörfern der Elbmarsch pro Einwohner so viele Kinder an Leukämie erkrankt wie sonst nirgendwo in Westeuropa: Bei elf haben die Ärzte Blutkrebs diagnostiziert, drei von ihnen sind schon gestorben.

Der Gutachterkrieg ist seitdem entbrannt. Schließlich wollen die Politiker eventuell abschalten, wenn das AKW Krümmel als die Ursache für Krankheit und Tod der Kinder nachgewiesen ist. Nach der Erfahrung aus bisherigen Prozessen ist es aber zweifelhaft, ob den Klägern der für eine Schließung nötige Beweis gelingt.

Viel größere Gefahr droht der goldenen Bilanz der Betreiber Hamburgische Electricitätswerke (HEW) und PreußenElektra nun aus ihrer eigenen dunklen Vergangenheit: Sie haben nämlich bei den Bauplänen und beim Baumaterial geschludert. Und es ist ihnen gelungen, diverse TÜV-Landesverbände dazu zu kriegen, fast alles zu genehmigen – ob es den technischen Vorschriften für das Genehmigungsverfahren entsprach oder nicht. In der Vergangenheit haben Journalisten schon einige Male über Unregelmäßigkeiten berichtet. Robin Wood hat am Mittwoch die Zugänge zum AKW für einige Zeit blockiert und bei diesem Anlaß eine neue, vollständigere Liste der Schludereien veröffentlicht.

Die Tricksereien wurden anscheinend auch der Genehmigungsbehörde zugetragen, dem Energieministerium der rot-grünen Regierung in Schleswig-Holstein. Das gab diese Woche nämlich zwei neue Gutachten in Auftrag. Eines bei dem Berliner Rechtsanwalt Reiner Geulen, der prüft, ob es aus juristischer Sicht Unterschiede zwischen dem genehmigten Zustand und dem Ist- Zustand gibt. Das Öko-Institut in Darmstadt wiederum soll begutachten, wie die Differenzen sicherheitstechnisch zu bewerten sind. Bis März 1997 sollen die beiden Expertisen vorliegen.

Die Staatsanwälte in Lübeck und Kiel ermitteln ebenfalls, und zwar gegen Siemens-KWU, den Rechtsnachfolger der Reaktorbauer von Krümmel, den Betreiber HEW und die TÜV-Gutachter.

Laut Robin Wood lief bei Krümmel – vom Standpunkt der Reaktorsicherheit gesehen – von Anfang an vieles schief. Ein Beispiel unter vielen: Das damalige Institut für Reaktorsicherheit legte 1973 ein sogenanntes Grundkonzeptgutachten vor. In diesem Plan werden zum Beispiel Wandstärken und Sicherheitsreserven für den geplanten Reaktor festgelegt.

Was den Druckbehälter betrifft, so weicht der wirklich erbaute Stahlkessel für das AKW Krümmel an vielen Stellen, wie z.B. den Wandstärken und dem Format der Teile, stark ab von der Vorgabe — die Folge: erhöhte Sicherheitsrisiken.

Erst bauen, später prüfen, immer genehmigen

Darüber hinaus hatte der TÜV schon von Baubeginn an ein Problem beim Genehmigen, das ihn durch die ganze Bauzeit hindurch begleiten sollte: Manches war fertig, bevor die Kriterien, nach denen gegossen oder geschweißt werden sollte, überhaupt amtlich festgelegt waren. Das Grundkonzeptgutachten von 1973 war schon deshalb wertlos, weil der Stahl für den Druckkessel nach Erkenntnissen der Kieler Landesregierung schon im Februar 1972 gegossen und gewalzt wurde – laut einem Zeugnis des Werkes sogar im April 1971.

In diesen zwei Jahren hatten sich die Stahlherstellungsverfahren deutlich verbessert. Das Grundkonzept ging fälschlicherweise von einer Herstellung durch die neuen Methoden von 1973 aus, meint Robin Wood.

Als 1973 der TÜV Baden die gewalzten Bleche des Reaktorkessels nachuntersuchte, hatte „keines der Bleche“ die „erforderlichen Mindestfestigkeitswerte“ erreicht, so damals die Ingenieure. Die Teile waren durch billige Herstellungsverfahren teilweise zu dünn, das Material mit Schlacke und Aluminiumoxid verunreinigt. Kein Wunder: Die französische Herstellerfirma Marrel Frères konnte wegen ihres zu kleinen Ofens die vorgeschriebenen Sonderschmelz- und Gießverfahren bei den großen Blechen gar nicht anwenden.

„Für Fachleute war daher bereits 1972 klar erkennbar, daß die Bleche ungeeignet waren“, so Robin Wood. „Der TÜV hat diesen Sachverhalt aber nie eindeutig herausgestellt, da er in eine Regreßsituation gekommen wäre“, meinen die Umweltschützer. Immerhin hatte der TÜV für die Blechabnahmen im April 1972 Blanko-Abnahmezeugnisse ausgestellt und war damit durch den Reaktorbauer erpreßbar. Einer dieser Freibriefe liegt Robin Wood vor.

Mäkelten die Prüfer doch einmal herum, handelten die Stahllieferanten auf eigene Kappe: Als im Januar 1973 der TÜV die Schweißnaht LW42 des Druckbehälters nicht abnimmt, verschweißt die Mailänder Firma Breda sechs Monate später trotzdem das Bauteil 4 inclusive der fehlerhaften Naht mit dem benachbarten Bauteil Nummer 5. Der Fehler ist damit nicht mehr zugänglich, bändigt aber zum Glück noch heute mit einigen anderen fehlerhaften Kolleginnen den Druck, die Strahlung und die Hitze im Inneren des Reaktorkessels.