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Der bloße Alltag frißt jede Botschaft auf

Politpop als Messebau: Die Hamburger Ausstellung „un-frieden“ will Wirklichkeiten sabotieren. Doch am Ende ergibt sich aus dem Versuch einer Neuauflage von sozialrelevanter Kunst kaum mehr als ein Revival der siebziger Jahre  ■ Von Hajo Schiff

Kreditkarten eines anonymen Künstlers sind die Eintrittskarten, im Treppenaufgang hängen Tresorpläne und oben droht ein automatisches Schnellfeuergewehr erhaben auf hohem Sockel. Die ambitionierte Hamburger Ausstellung „un-frieden“ handelt von der künstlerischen „Sabotage von Wirklichkeiten“. Überwachungskameras und Zensurarchive verweisen auf die heimlich wuchernden Ordnungssysteme. Selbst eine so zeichnerisch schöne Arbeit wie der von Yukinori Yanagi 24 Stunden lang notierte Ameisenweg kann nur unter zwanghaften Laborbedingungen entstehen. Und noch im Beiläufigen lauert der Hintersinn: die bergförmigen, „ALPS“ beschrifteten Kekse stammen vom „Arbeits-Losen- Projekt Schweiz“.

Die Berliner Kuratorin Inke Arns und die Hamburger Kunstwissenschaftlerin Ute Vorkoeper haben die Ausstellung im Rückgriff auf die vom Fluxuskünstler Robert Filliou 1985 in Hamburg initiierte „Biennale des Friedens“ konzipiert. Die Kunst der neunziger Jahre sollte gemäß einem offenen Beteiligungsaufruf auf die Möglichkeiten geprüft werden, „zunehmend unfriedlichere Realitäten sichtbar zu machen, in bestehende Wirklichkeitsstrukturen einzugreifen oder verquere Umgangsweisen mit privaten, sozialen und politischen Wirklichkeiten sowohl suggestiv als auch reflexiv erfahrbar werden zu lassen“.

Lauter Orwellsche Zukunftsvisionen

500 Künstlerinnen und Künstler aus 31 Ländern reagierten mit Projekten, eine vierköpfige Jury stand den beiden Kuratorinnen bei der Auswahl von 60 Beiträgen zur Seite. Zwischen Simulation und Kritik ergibt sich ein Blick auf unsere Welt, der den Orwellschen Zukunftsvisionen immer stärker zu ähneln scheint. Mit sechs „thematischen Zonen“ wurde das Material sortiert: Kontrolle, Nachrichtendienste, Alltag, Grenzpolitiken, Staatsmaschinen, Science-fiction & Ökonomie. Doch das ungewöhnlich kurzfristig durchgeführte Unternehmen kann seinem Anspruch nicht gerecht werden. „Vergiß die Einteilungen!“, sagte ein genervter Künstler und sprach als Beteiligter an, was auch die Kritik bemerken muß: Die in einzelnen Beiträgen interessante und sogar publikumswirksame Ausstellung ist leider weder zwingend noch originell inszeniert. Die forcierte theoretische Fragestellung wird zwar von allen Künstlern mehr oder weniger aufgenommen, die Kombination der 34 realisierten Arbeiten sowie der 26 zusätzlich in einem Materialienraum angedeuteten Projekte verbleibt in der Summe jedoch beliebig. All das fügt sich nicht zu einer These, nur zu einer Messe. Denn daß die Kunst der Neunziger mit Simulationen und Internet arbeitet, daß die abgebildete Welt analysiert wird und Projekte in den öffentlichen Raum getragen werden, daß Künstler Büros betreiben und Attitüden von Wirtschaftsunternehmen ironisch kopieren oder die Gay-Comunity eigene Verschönerungsprojekte initiiert, ist wahrlich nicht gerade neu. Auch daß der Malerei keinerlei soziale Kompetenz mehr zugetraut wird, überrascht kaum, es gehört zum regelmäßig bestätigten Ausschnittblick solcher Veranstaltungen.

Erstaunlich bleibt, daß die breit angelegte Ausstellung mit ihren Beiträgen von Irland bis Usbekistan, von Kanada bis China weltweit genau das nicht gefunden hat, was als Perspektive über den Ansatz sozialer Kunst hinausgeht. Dieser Umstand ist das eigentlich Frustrierende an dieser Zusammenstellung, wenn man sie als Querschnitt zum Thema ernst nimmt.

Dazu kommt noch, daß ein Großteil dieser Kunst zwischen Theorielastigkeit und sozialer Imitation sich in erschreckendem Ausmaß den Fragen nach der Form verweigert. Die Unsicherheit in diesem für die Kunst durchaus wichtigen Aspekt ist erstaunlich hoch und geht in beide Extreme: sowohl Unter- als auch Überdeterminierung. Da ist der „File-Room“ von Antonio Muntadas: das Internet-Archiv zu weltweiter Zensur erhält mit siebzig schwarzen Bisley-Aktenschränken eine zwar kafkaesk bedrückende, aber unnötig theatralische Kulisse. Hier wird mit einer thematisch und technisch keineswegs erforderlichen Erlebnisqualität geprunkt. Während die zwangsläufig assoziierten Kästen von Christian Boltanski ihre sinnliche Inszenierung nutzen, eine Vielzahl nur gedanklich zu erschließender Möglichkeiten anzustoßen, ist der Aufwand für dieses Computerarchiv, das nahezu wissenschaftlich all die bedenklichen Fälle dokumentiert, bloß unnützes Dekor. Auch die „Invisible Embassy of Seborga“, ein anderes Computerprojekt über eine separatistische Grafschaft in Italien, bräuchte keine überdimensionale Staatsflagge und ein Regal mit EU-Schriften als reale Umgebung für ihr Computerspiel, das neben der Realität der „Padanien“-Deklaration Umberto Bossis bloß noch second hand wirkt.

Die einzige autonome Plastik der Auswahl steht andererseits etwas lieblos herum. Es ist das „Car of Desire“, ein originalgroßes Holzmodell eines stromlinienförmigen Sportwagens. Erst auf den zweiten Blick erkennt man die eingearbeiteten rasiermesserscharfen Klingen von Daisuke Nakayama aus Japan. Hier hätte man sich nun gerade eine Motor-Show-Inszenierung gewünscht – zumindest einen Sockel. Völlig verunglückt ist die „Space-Lab“ genannte Küchen- Installation von Cornelia Schmidt- Bleek, in der es zur Eröffnung Flugzeugverpflegung eines großen deutschen Cariers gab: auch die soziologisierenden Videos ändern nichts daran, daß die ohne zusätzliches Design aus zusammengesammelten Möbeln aufgebaute Situation nur eine Variante im Gestus von Duchamp ist.

Überhaupt scheint es der jüngeren Künstler- und Kuratorengeneration schwerzufallen, die so ausdrücklich zitierte Botschaft von Fluxus zu verstehen. Kunst, die sich in den Alltag einmischt, läuft immer Gefahr, entweder von diesem gefressen zu werden oder sich in kleinen Insiderzirkeln totzulaufen, aber das Künstlerindividuum sollte nicht schon von Anfang an beides simulieren, den Alltag und die Intervention.

Sicher, es gibt in der Vielfalt durchaus funktionierende Spiegelbilder möglichen Alltags. Da ist das bis ins kleinste Detail durchgestaltete Praxiszimmer des „Instituts für mediale Krankheiten“. Der Luzerner Markus Käch sorgt mit den Schautafeln zum „Zig- Zagschen Syndrom“ und anderen virtuellen Infektionen für ein Highlight der Ausstellung. Auch Peder Iblhers angebliche Dokumentarfotos aus der Sowjetunion, der „tunguska index“, ein Archiv nutzloser Bilder eines großangelegten US-Spionageprojekts aus den Jahren des Kalten Krieges, sind ein in eine nette Geschichte gekleideter Verweis auf den Authentizitätsverlust computermanipulierter Bilder.

Echte Bilder, nutzlose Images

Aber taugen die im US-TV ausgestrahlten Filmclips von Stan Douglas im Video noch als Lernmittel für mediale Desinformation? Können Jayce Salloums Video-Interviews aus dem Libanon die offizielle politische Sprachregelung transzendieren? Ist das an zwei Tagen von der Gruppe „Neue Slowenische Kunst“ betriebene Paßbüro für den „NSK-Staat in der Zeit“ wirklich nur ein Hinweis auf repressive Staatsorganisationen? Die „politische Wirklichkeit sowohl suggestiv als auch reflexiv erfahrbar werden zu lassen“, wie es ausdrücklich postuliert wurde, ist innerhalb des Museumskontextes ohnehin schwierig, in dieser Kunstzusammenstellung bleibt es nur beim Anspruch.

Die Rückbindung an Kunst der siebziger und achtziger Jahre bringt zumindest eine Einsicht: So wie Ethnokunst ohne Wissen um ihre Kontexte zur Airport-art wird, gerät Kunst ohne Utopie allzu leicht zum Abiturientenscherz. Plötzlich sind schon Plakataufkleber oder das Überschreiten einer Ampel bei Rot Interventionen in den Alltag – und prompt pelzen sich auch im Umfeld der Ausstellung unbestellte Aktivitäten an. Da veralbert am Eröffnungsabend eine rotweißrote Absperrung samt Schild „Vorsicht Dacharbeit!“ vor dem Eingang das Publikum, und aus anonymen Situationistenkreisen wurden an Redaktionen gefälschte Ankündigungen der Gruppe „Art says No – Female Artists against Execution“ gestreut: die Live-Übertragung einer Hinrichtung aus einer US-Todeszelle als Kunstaktion.

Dabei gibt es in Hamburg durchaus eine nicht nur auf Fillious Ausstellung von 1985 beschränkte Tradition sozial aktiver Kunst, sei es die „D & S“-Show 1989 oder die Ausstellung zum Golfkrieg 1991. Auch dem Kunstvereinsleiter Schmidt-Wulffen ist das Thema keineswegs fremd, wenn bei ihm etwa Philippe Parreno mit seiner Fabrik der Gedanken zu Gast war oder der US-thailändische Künstler Rirkrit Tiravanija jetzt gerade das Erdgeschoß des Kunstvereins zu einem multifunktionalen „Pool- Raum“ zur Kommunikation mit und über Kunst umgestaltet hat.

Zudem versucht die Kulturbehörde seit einiger Zeit den von Hamburg mitgeprägten Begriff „Kunst im öffentlichen Raum“ zeitgemäß neu zu definieren. Sie lädt in der Reihe „weitergehen“ Künstler zum Ideenaustausch ein und wirbt bereits auf Symposien mit dem zwischen den zahlreichen Fachbehörden und gleich zwei Bezirksämtern noch umstrittenen und somit erst einmal aufgeschoben Projekt „Park Fiction“.

Dieses eindeutig jenseits vom weißen Ausstellungsraum angelegte Kunstprojekt will eine der letzten noch nicht zugebauten Stellen am Elbhang im dichtbesiedelten Hamburger Stadtteil St.Pauli- Süd offen halten und in einen von den Bürgern selbstentworfenen und autonom verwalteten Park umwandeln. „Park Fiction“ beweist seine politische Sprengkraft durch eine Mischung von Architekturkritik und Kinderspiel, von selbstbestimmter Stadtplanung und künstlerisch zum Leben erweckter Wunschproduktion.

Die Hamburger KünstlerInnen Cathy Skene und Christoph Schäfer haben ihre gesamte Energie in das Projekt investiert, das zusammen mit Sozialarbeitern und Pastoren, Musikern und Architekten in wöchentlichen Sitzungen mit den Bürgern St. Paulis eine theoretisch abgesicherte und trotzdem sinnlich spaßorientierte Bürgerselbstverwaltung nicht nur simuliert, sondern Stück für Stück auch umsetzt. Dabei müssen die KünstlerInnen selbst viele Kompromisse eingehen und einen Großteil ihres eigenen Kunstanspruchs zurücknehmen. Dann erst läßt sich die Realität in diesem komplexen und komplizierten Stadtteil ein wenig verändern.

„un-frieden“, bis 19.1., Kunstverein und Kunsthaus, Hamburg. Internet: http://www.icf.de/discord

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