: Anklage: Völkermord, Massaker, Vergewaltigung
■ Zum ersten Mal müssen sich in Ruanda zwei Menschen wegen des Völkermords 1994 vor Gericht verantworten. Eine Serie von Völkermordprozessen soll folgen
Kigali (AFP/taz) – Vor einem Gericht in Ruanda hat gestern der erste Prozeß wegen Völkermordes gegen zwei mutmaßliche Beteiligte der Massaker von 1994 begonnen. Im staatlichen Rundfunk wurde das Verfahren gegen den ehemaligen Krankenpfleger Deogratias Bizimana und den früheren Regierungsmitarbeiter Egide Gatanazi in Kibungo im Südosten Ruandas live übertragen.
Bizimana und Gatanazi sollen 1994 an Massakern in den Ortschaften Birenga und Sake beteiligt gewesen sein und ein weiteres in der Ortschaft Ruamagana organisiert haben. Außerdem wird ihnen Vergewaltigung vorgeworfen. Als Anführer einer „Gruppe von Mördern“ sollen sie die Hutu-Banden trainiert haben. Beiden Männern droht bei einer Verurteilung die Todesstrafe.
Der Prozeß in Kibungo sei der erste einer ganzen Reihe von Prozessen, die am Montag mit zwei weiteren Genozidverfahren in der ruandischen Hauptstadt Kigali fortgeführt werden soll, verkündete Justizminister Faustin Nizirgayo im staatlichen Rundfunk. In den ruandischen Gefängnissen sind noch rund 87.000 Personen in Haft, die für den Völkermord 1994 zur Verantwortung gezogen werden sollen, die Mehrheit von ihnen Hutu.
Die „Vereinigung für die Rückkehr der Flüchtlinge und der Demokratie“ (RDR), ein Sprachrohr der Hutu-Flüchtlinge im Ausland, kritisierte die Prozesse als „Justiztheater der RPF“. Die Tutsi-dominierte Ruandisch-Patriotische Front (RPF), die 1994 die Macht in Ruanda übernommen hatte, veranstalte eine „Siegerjustiz“. Die Angeklagten hätten keine Möglichkeit, sich zu verteidigen.
1994 waren in Ruanda mehr als 500.000 Angehörige der Tutsi- Minderheit sowie gemäßigte Hutu ermordet worden. 21 Personen, ehemalige Mitglieder der ruandischen Hutu-Regierung, stehen als Hauptverantwortliche des Völkermordes vor einem internationalen UN-Tribunal im tansanischen Arusha.
Rund 1,2 Millionen Menschen, zum größten Teil Hutu, flüchteten zwischen April und Juli 1994 vor der siegreichen RPF nach Zaire, weitere 600.000 nach Tansania. Die damalige ruandische Hutu- Regierung hatte die Menschen zur Flucht animiert. In den letzten Wochen hatten Tutsi-Rebellen in Ostzaire – mit Unterstützung der ruandischen Armee – einige wichtige Städte in der Grenzregion zwischen Zaire und Ruanda erobert. Die ruandischen Hutu-Flüchtlinge traten die Rückkehr an. 640.000 Flüchtlinge sollen von dort zurückgekommen sein – nicht ohne Angst vor einer eventuellen Rache der Tutsi.
Auf Druck der tansanischen Regierung sind auch aus Tansania inzwischen mehr als eine halbe Million Menschen nach Ruanda zurückgekehrt.
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