: "Wir brauchen den Bezirksausgleich"
■ Sozial- und Gesundheitssenatorin Beate Hübner (CDU) plädiert für einen Finanzausgleich zwischen armen und reichen Bezirken. Eine dauerhafte Finanzierung für soziale Projekte im Ostteil der Stadt soll im
taz: Frau Hübner, wie sieht Ihre politische Vision von einer sozialen, gerechten Stadt aus?
Beate Hübner: Ein quantitativ und qualitativ hochwertiges Angebot in allen Bereichen der gesundheitlichen und sozialen Versorgung – und das zu finanzierbaren Konditionen. Wir dürfen nicht vergessen, daß alle Leistungen entweder über die Solidargemeinschaft der Versicherten oder über Steuern finanziert werden müssen – also von den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern dieser Stadt.
Wie wird das „soziale Netz“ der Stadt in zwei, drei Jahren aussehen?
Wir haben die Arbeitsgruppe soziale Grundsicherung eingerichtet, um festzustellen, wo Berlin im bundesweiten Vergleich bei sozialen Leistungen noch Vorsprünge hat. Dabei haben wir festgestellt, daß es solche kaum noch gibt. Es gibt allenfalls in Teilbereichen wie beim Landespflegegesetz für Behinderte einen Leistungsvorsprung. An diesem Besitzstand werden wir nicht rütteln. Ansonsten liegen wir mit den Sozialleistungen im Mittelfeld. Hier sind keine weiteren Streichungen mehr möglich. Was nicht mit Geld zu erkaufen ist, wäre ein schnelleres Zusammenwachsen zwischen Ost und West. Man spürt, daß sich durch die Verteilungskämpfe die Gräben eher vertiefen.
Für die meisten sozialen Projekte im Ostteil der Stadt gibt es nach wie vor keine dauerhafte Finanzierung, sondern ein Flickwerk von ABM-Stellen. Wie soll es weitergehen?
Durch die Arbeitsförderprogramme können wir soziale Einrichtungen auf Dauer nicht halten. Wir brauchen unbedingt einen Bezirksausgleich, also einen Finanzausgleich zwischen den sozial schwächeren Bezirken und den Bezirken, die eine günstigere Sozialstruktur haben. Wir können nicht damit rechnen, daß wir mehr Mittel im Gesamthaushalt haben werden, sondern es muß zwischen den Bezirken umverteilt werden. Ich rechne mit einer harten Diskussion. Das wird noch mal ein typischer Ost-West-Konflikt werden. Inzwischen ist auch der Rat der Bürgermeister bereit, über einen Bezirksausgleich zu diskutieren.
Das heißt, eine Regelfinanzierung für die sozialen Projekte im Ostteil wird es nicht geben?
Der Rat der Bürgermeister wollte die Diskussion für den Haushalt 1997 noch ausklammern. Ich gehe fest davon aus, daß es – nach der Festsetzung von Standards – eine Regelfinanzierung ab 1998 für die Projekte geben wird, die sich bewährt haben und als bedarfsnotwendig angesehen werden.
Gibt es bei den Ergebnissen der Haushaltsklausur Punkte, bei denen Sie Kürzungen kaum noch verantworten können?
Im Behindertenbereich wird ein Großteil der Maßnahmen deutlich gestreckt werden. Es fehlen uns 180 Millionen Mark für Investitionen. Darüber bin ich nicht ganz glücklich. Das gilt auch für die Pflegeheime in den westlichen Bezirken. Ich gehe allerdings davon aus, daß wir in einigen Bereichen zukünftig sogar mehr Finanzmittel brauchen. Mit diesen Investitionen ließen sich mittelfristig enorme Einsparungen erzielen. Notwendig sind beispielsweise – auch im Interesse der Sanierung unserer regionalen Krankenkassen – Investitionen in Krankenhäusern. So können zum Beispiel mit Investitionen in den Krankenhäusern Buch oder Neukölln Nebenstandorte dieser Kliniken geschlossen werden. Wenn es sich inhaltlich anbietet, werden wir Projekte zusammenführen, die von anderen Verwaltungen gefördert werden. Da kann es sogar zu Einsparungen kommen, ohne drastisch zu kürzen.
Wo rechnen Sie mit einem höheren Bedarf?
Im Aids-Bereich und bei den Obdachlosen.
Der Vertrag für die Aids-Projekte wird neu ausgehandelt.
Ja. Wieder mit einer Laufzeit über drei Jahre, um den Projekten die notwendige Planungssicherheit zu geben. Sicher wird auch dort gekürzt werden. Aber hier gibt es schon einige gute Vorschläge von den Projekten.
Wie können Sie denn einerseits von einem Mehrbedarf sprechen und andererseits Kürzungen nicht ausschließen?
Nicht alle Kürzungen bewirken eine qualitative Verschlechterung. Hier geht es auch um eine inhaltliche Weiterentwicklung der Projekte. Gerade die Anbieter im Bereich der Aids-Versorgung haben sich in der Vergangenheit immer als sehr konstruktive Gesprächspartner erwiesen. Deshalb bin ich sicher, daß wir auch jetzt zu einem Ergebnis kommen, das beide Seiten befriedigt.
Bei dem Konflikt um die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall bei den Beschäftigten in „Hilfe zur Arbeit“-Programmen mußten Sie im Senat eine Niederlage einstecken. Arbeitssenatorin Christine Bergmann (SPD) wollte in dem ihr unterstellten ABM-Bereich an einer 100prozentigen Lohnfortzahlung festhalten, bis eine Entscheidung der Bundesanstalt für Arbeit vorliegt. Sie wollten für die Beschäftigten des „Hilfe zur Arbeit“-Programms den Lohn im Krankheitsfall auf 80 Prozent kürzen.
Für diese Verträge gilt das Entgeltlohnfortzahlungsgesetz. Insofern ist die Rechtslage eindeutig. Diese Rechtsauffassung ist auch nicht in Frage gestellt worden. Der Regierende Bürgermeister war jedoch der Auffassung, daß wir über beide Beschäftigungsgruppen gemeinsam entscheiden sollten. Wir müssen jetzt abwarten, wie die Bundesanstalt für Arbeit entscheidet.
Von einer Sozialsenatorin hätte man doch erwartet, daß sie sich gerade für die schwächsten Arbeitnehmer einsetzt. Sie hätten sich doch, ähnlich wie die Arbeitssenatorin, öffentlich positionieren können, daß für diese Beschäftigten vorerst die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall weiter gilt.
Bis auf den Unterschied, daß für den „Hilfe zur Arbeit“-Bereich die Rechtslage eindeutig ist und die Finanzierung ausschließlich über den Landeshaushalt erfolgt. Das ist für den ABM-Bereich anders, und hier hat sich auch die Bundesanstalt für Arbeit noch nicht entschieden. Es wird sich herausstellen, ob Frau Bergmann, die 100prozentige Lohnfortzahlung durchkriegt.
Sie könnten doch gemeinsam mit Senatorin Bergmann an einem Strang ziehen?
Wir müssen dieses 90-Millionen-Mark-Programm aus dem Landeshaushalt bezahlen. Ich wollte durch die verminderte Lohnfortzahlung im Krankheitsfall Geld sparen und dadurch mehr Menschen einen Platz im Programm ermöglichen.
Haben Sie ausgerechnet, wieviel Leute Sie durch die verminderte Lohnfortzahlung beschäftigen hätten können?
Das kann man nicht sagen, weil man erstens nicht genau weiß, wie viele Leute krank werden, und zweitens nicht, wie viele statt Lohnkürzung Urlaubstage anbieten. Aber jeder sozialversicherungspflichtige Arbeitsplatz mehr, den wir dadurch abschließen können, bedeutet eine eindeutige Perspektive aus der Sozialhilfeabhängigkeit.
Wo wollen Sie im nächsten Jahr politische Akzente setzen?
Einer der wesentlichen Punkte, die anstehen, ist die Fortsetzung des Krankenhausplanes. Dann werden wir den Landespflegeplan für die ambulanten Pflegeeinrichtungen aufstellen. Außerdem strebe ich in dieser Legislaturperiode die Verabschiedung eines Landesgleichstellungsgesetzes für Behinderte an, um die Diskriminierung von Behinderten abzubauen. Interview: Julia Naumann und
Dorothee Winden
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