: Der Bananenstreit entzweit die Gerichte
■ Verfassungsrichter Paul Kirchhof und der europäische Gerichtshof sind im Clinch
Freiburg (taz) – „Das Brückenhäuschen ist auf meiner Seite!“ – „Nein, auf meiner!“ – Was soll dies Gezänk? Hört man da spielende Kinder im Märchenwald? Nein, es sind hohe Richter, die über Machtfragen diskutieren.
Die Kontrahenten sind: Paul Kirchhof, die konservative Eminenz am Zweiten Senat des Bundesverfassungsgerichts, und Günther Hirsch, der deutsche Richter am 15köpfigen Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg. Ort des Streits sind derzeit noch Fachzeitschriften und Vortragssäle. Doch bald könnte die Fehde auch im Gerichtssaal ausgetragen werden.
Beide Richter benützen das Bild vom Brückenhäuschen, um zu erklären, daß gerade ihr Gericht letztverantwortlich über die Einhaltung der EU-Verträge entscheidet. Richter Kirchhof: „Die EU kann Kompetenzen nur dann ausüben, wenn sie von den Mitgliedsstaaten in den EU-Verträgen dazu ermächtigt ist. Das EU-Recht kommt also über die Brücke des deutschen Zustimmungsgesetzes zu uns.“ In Kirchhofs Bild ist das Bundesverfassungsgericht ein „Brückenhäuschen“ auf deutscher Seite, von dem aus kontrolliert wird, ob die Brücke von der EU nicht überlastet wird.
Als einzig legitimes „Brückenhäuschen“ sieht sich jedoch auch der Europäische Gerichtshof, das Gericht der EU. Richter Hirsch: „Ob die Tragfähigkeit der Brücke ausreicht oder nicht, prüft und entscheidet in letzter Instanz der EuGH, nicht aber eine nationale Instanz.“
Der Streit geht der Rechtsgemeinschaft EU ans Mark. Denn nur die abschließende Auslegung des EU-Rechts durch den EuGH kann eine Rechtszersplitterung in 15 nationale Sichtweisen verhindern. Wenn Karlsruhe dem EuGH „Kooperationsangebote“ macht, so mag das vielleicht konziliant klingen, tatsächlich liegt darin jedoch ein Übergriff auf eine fremde Ebene.
Natürlich war es für die nationalen Gerichte nicht leicht zu akzeptieren, daß gemeinsames europäisches Recht nur dann funktionieren kann, wenn es auch den nationalen Verfassungen vorgeht. Anfang der 90er Jahre aber war dies im Grunde kein Thema mehr, nachdem der EuGH in seinen Urteilen eine eigene europäische Grundrechtsordnung entwickelt hatte. Um so größer die Irritation der Nachbarn, als Karlsruhe 1993 in seinem Maastricht-Urteil diesen Common sense wieder in Frage stellte. Das Urteil stammte aus der Feder von Paul Kirchhof.
Und es ist kein Zufall, daß der Juristenstreit gerade jetzt wieder aufflammt. Der Streit um die für deutsche Importeure nachteilige EU-Bananenordnung scheint im Machtkampf zwischen Karlsruhe und Luxemburg zum Testfeld zu werden. Während der EuGH der neuen Marktordnung vor drei Jahren seinen Segen gab (Klägerin war die Bundesregierung), rebellieren mit Karlsruher Segen jetzt reihenweise die deutschen Gerichte.
Anfang des Jahres hatte der Bundesfinanzhof, das höchste deutsche Finanzgericht, die EU- Bananenordnung bis auf weiteres einfach ausgesetzt. Zuvor hatte Richter Kirchhofs Kammer grünes Licht signalisiert. Vor zwei Wochen überwies in einem anderen Rechtsstreit das Verwaltungsgericht Frankfurt eine Vorlage nach Karlsruhe. Ihr Tenor: Die VerfassungsrichterInnen sollen prüfen, ob die EU-Bananenordnung nicht verfassungswidrig sei. Berichterstatter in Karlsruhe wird wieder Richter Kirchhof sein.
Im Streit um die Bananen hat Luxemburg aber inzwischen ein Zeichen guten Willens gegeben. Die EU-Kommission in Brüssel, so entschied der Gerichtshof Ende November, soll unverschuldet vom Konkurs bedrohten Importeuren eine Härtefallregelung geben.
Ob Kirchhof das genügt? Der von der CDU nominierte Richter ist ein juristischer Aktivist voller Tatendrang. In seinem zweiten Karlsruher Schwerpunkt, dem Steuerrecht, hat er als Berichterstatter schon zahlreiche Coups gelandet. Die Zinsabschlagsteuer, das steuerfreie Existenzminimum, die Abschaffung der Vermögensteuer – all dies verdanken die BundesbürgerInnen Paul Kirchhof. Daß er auch Europa mitgestalten möchte, bekräftigte er Anfang November bei einem Vortrag in Bonn. Schärfer noch als im Maastricht-Urteil reklamierte er eine europarechtliche „Reservekompetenz“ für das Bundesverfassungsgericht. Sollten Urteile des EuGH nicht innerhalb eines „Vertretbarkeitsspielraums“ bleiben, müsse Karlsruhe „seines Amtes walten“.
Sollte das Verfassungsgericht in diesem Sinne tatsächlich die Bananenordnung für verfassungswidrig erklären, könnte das für Deutschland teuer werden. Nicht nur wegen der Schadenersatzforderungen der Bananenimporteure, auch politisch stünde die deutsche Europapolitik vor einem Scherbenhaufen. Zuerst die Subventionstricksereien der Vulkan-Werft, dann die vertragswidrige Auszahlung der Sachsen-Gelder an VW und bald auch noch das Bundesverfassungsgericht in offener Rebellion. Seine Rolle als europäischer Musterknabe hätte Deutschland dann endgültig ausgespielt.
Warum tut Kirchhof das? Dem Steuerrechtler Kirchhof geht es wohl vor allem ums Geld – um das deutsche Geld. Beobachter erwarten, daß Karlsruhe letztlich auch den Übergang in die EU-Währungsunion prüfen will – vor allem dann, wenn wegen der EU-weit schlechten Wirtschaftslage Abstriche bei den Konvergenzkriterien gemacht werden müssen. Eine bloße Verschiebung der Währungsunion käme Richter Kirchhof allerdings ungelegen. Denn er ist nur noch bis 1999 im Amt. Christian Rath
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen