: Ösi-Saudade hinter der Mauer
■ Der SV Werder: Opfer der Großen Koalition und des Niedergangs der Habsburger / Der Tatsachenbericht von einem vorweihnachtlichen Experten-Symposium zu verschiedenen Grundfragen
ie Zeiten sind schlecht, besonders in unserer kleinen Stadt – wer wollte das bestreiten? Wir sagen nur: Vulkan, Staatsverschuldung, Platz neun, viele Gegentore, sogar bei den Heimspielen. Deshalb und in tiefer Sorge um das Land hat die taz in der besinnlichen Vorweihnachtszeit zu einem Expertensymposium geladen. Anwesend war geballter fußballerischer Sachverstand, namentlich die Herren Langlott (Fachgebiet: Italien), Mützelburg (Oberliga West 1952-63), Pulß (Dieter Eilts), Fahrun (Hertha) und Grabler (Kaiserslautern). Später kam noch Hilfsexperte Geyer (Kurzanalyse) hinzu. Entschuldigt fehlte Herr Weber (Essen und Trinken) wegen Talentsichtung in Chile. Es wurden alkoholische Getränke gereicht. Wir geben hier den (unwesentlich gefälschten) Diskussionsverlauf wieder.
Etwas umständlich erläutert Herr Grabler sein Entsetzen, mit dem er im Kanarischen immer wieder per Weltempfänger die aktuellen Ergebnisse des heimatlichen Fußballvereins zur Kenntnis nehmen mußte. „Und dann immer gleich eine Packung.“ Dabei habe man sich doch in der Expertenrunde noch vor Monaten darauf verständigt, daß beim SV Werder alles in geregelten Bahnen liefe. Die Verjüngung der Mannschaft sei auf dem besten Wege, die Spieler hatten gesagt, daß mit Dixie Dörner der Fußball jetzt wieder Spaß macht undsoweiter – und nun das. Ob man ihm das mal erklären könne.
Herr Mützelburg eröffnet mit einem bündigen Personalpaket: „Skribnik, Flo verkaufen, Dörner entlassen.“ Das wäre doch mal ein Anfang. Die Zentralfrage, die alle Gemüter bewege, sei doch: Was ist vom Werder-Übungsleiter zu halten? „Schlechter würden sie unter de Mos auch nicht spielen“, gibt Herr Fahrun zu bedenken. Die Auffassung stößt nicht auf besondere Zustimmung, zumal sich die Runde seiner Zeit einmütig für die Entlassung des Holländers (weil der ist unsympathisch) ausgesprochen hatte. „Nun haben wir den Salat“, wird in die Debatte geworfen. Betretenes Nicken.
Da wäre zum Beispiel die verquere Personalpolitik des Trainers, analysiert Herr Pulß in die brütende Stille hinein. Da weiß dann wieder jeder was zu sagen. Zum Beispiel der Spieler Votava: Erst sitzt er auf der Bank, dann auf der Tribüne, dann meckert er, plötzlich ist er Libero und das auch nicht schlechter als die anderen, dann kommt ein öffentliches Gezerre, und dann darf er doch nach Oldenburg gehen. „Aufstellen, weil man ein schlechtes Gewissen hat. Sowas macht man doch nicht als Trainer“, meint Herr Pulß.
Und überhaupt, man solle doch mal die Neuverpflichtungen durchgehen, plärrt Herr Grabler. Eine Katastrophe nach der nächsten. Herr Todt wisse immer noch nicht, auf welcher Position er spielen solle. Der sehe zwar aus wie Nick Knatterton, nur kombinieren täte er nicht. Haha. Herr Skribnik sei alles andere als eine Verstärkung. Schon wie der gekauft worden sei, erinnert Herr Mützelburg: „Das war ein Notkauf ohne Not. Erst verpflichtet Dörner einen Nationalspieler, und dann setzt er ihn monatelang auf die Bank.“ Was Herrn Langlott zur Verkündigung einer fußballerischen Grundweisheit veranlaßt: „Wenn man für zwei Millionen einen fertigen Spieler kauft, dann muß es auch ein fertiger Spieler sein.“ Und davon hätte man bei Herrn Skribnik noch nichts gesehen. Langlott: „Bleibt nur die Frage, ob er fertig war oder von Dörner fertig gemacht worden ist.“ Gut gesagt, Heiterkeit kommt auf.
Man solle doch mal die anderen neuen Spieler durchgehen, beharrt Herr Grabler. Herr Flo: ein Panickauf, dessen Qualitäten bislang im Dunkeln geblieben sein. Herr Pfeiffenberger: Das sei schon ein guter Fußballer, beharrt Herr Langlott, aber gerissen habe der auch noch nichts. Was alle an die schöne Geschichte erinnert, als Herrn Pfeiffenbergers Verpflichtung in der allseits goutierten Bild-Zeitung gestanden habe: „Der Ösi-Bomber“, der würde für Werder nun die Tore schießen. Bloß daß der Mann dann vorne nie zu sehen war, Dörner hat ihn gleich im Mittelfeld kicken lassen. Und am Ende habe er in der Verteidigung gespielt. Das war sogar dem Fernsehkommentator beim Pokalspiel gegen Bayern aufgefallen, was Herrn Mützelburg seiner Zeit zur schönen Schlußfolgerung veranlaßt hatte: „Als Stürmer gekauft, als Mittelfeldspieler eingesetzt, in der Abwehr gelandet – und jetzt bangt Olli Reck schon um seinen Posten.“
Dann wäre da ja noch Herr Herzog, analysiert die Runde weiter. Der sei ja nun definitiv dafür gekauft worden, das Spiel zu machen. Und? „Spielt Scheiße“, sagt Herr Fahrun. Dagegen ist nichts zu sagen, bloß: warum? Herr Pulß weiß die Antwort, sagt Herr Pulß. Mit den Österreichern, hebt er an, sei es ja so, wie mit den Portugiesen. Die könnten alle schön Fußball spielen, aber das reiche eben nicht. Wenn es ums Kämpfen gehe, dann mache sich immer wieder eine lähmende Grundtraurigkeit breit. Das sei halt mentalitätsmäßig so und liege am Verlust des Imperiums. Die Österreicher trauerten immer noch der KuK-Monarchie hinterher. Pulß: „Und außerdem haben die ja sowieso sowas Morbides. Weiß man doch.“ Die Portugiesen hätten sogar ein eigenes Wort für diese depressive Grundstimmung: Saudade. Und sogar eigens dafür komponiertes Liedgut: den Fado, quasi der Portugiesen-Blues. Könne man in jedem Reiseführer nachlesen.
„Der Herzog hat genau zwei brilliante Spiele gemacht“, unterstützt Herr Mützelburg. „Gegen die Bayern und für die österreichische Nationalmannschft. Dann war er satt, ab da war nix mehr.“ Herr Basler habe immerhin noch Tore geschossen habe, erinnert sich Herr Langlott und verdreht die Augen. Woraufhin Herr Grabler sein Ich-habs-ja-schon-immer-gesagt-Gesicht aufsetzt, Herr Mützelburg aber den immer noch schwelenden Baslerismus-Konflikt sofort abwürgt: „Das fangen wir nicht wieder an.“
So gesehen, schließt Herr Pulß ächzend seinen Gedankengang, leide das Werder-Angriffsspiel an der Abdankung des letzten Habsburgers und am Zusammenbruch des Donau-Imperiums. Man könne quasi von einer „Ösi-Saudade“ sprechen. Schon macht sich am Tisch saudadische Resignation breit, bis Herr Grabler die Frage in den Raum wirft, was dann mit den Engländern wäre. Die hätten ja schließlich auch ein Weltreich verloren, und so schlecht spielten die nicht. „Die Engländer spielen doch Kacke“, kontert Herr Pulß. Ach so.
Womit einiges erklärt wäre, aber längst nicht alles. 13 ehemalige und aktuelle Nationalspieler kicken bei Werder, die seien doch nicht alle verkappte Monarchisten, wird eingewandt. Großartige Vorlage für den Blitzanalytiker Geyer, der just in dem Moment zur Runde stößt und sofort zu einem Stegreif-Kommentar aufgefordert wird. Geyer: „Die spielen einen Scheiß zusammen!“ Wenn es denn so sei, daß genügend gute Spieler beisammen sind, dann bleibe ja nur ein Verantwortlicher übrig.
Ihm sei eine große Merkwürdigkeit aufgefallen, erzählt Geyer: Nach jedem vergurkten Spiel seien Werder-Kicker gefragt und ungefragt vor Mikrophone getreten und hätten erklärt, der Trainer habe sie genau richtig auf den Gegner eingestellt, an dem könne es nicht liegen, die Mannschaft selbst sei schuld. „Ösi-Saudade“, murmelt Herr Pulß dazwischen, was aber Herrn Geyer nicht hindert, seine hinterlistige Schlußfolgerung zu ziehen. „Daß die Spieler das sagen, das zeigt eine Schwäche des Trainers.“ Der sei dazu da, die Mannschaft zu motivieren. Fortgesetzte Selbstgeißelung führe nur dazu, daß die Mannen im nächsten Spiel noch bleibeiniger aufliefen.
Genau, ruft es nun von allen Seiten. Werder spiele ängstliches Mittelmaß, und dazu passen auch die mittelmäßigen Spielereinkäufe. Die Grundfrage: Wie gibt man einer Mannschaft Selbstbewußtsein? Die Kickers aus Leverkusen, wirft Herr Langlott ein: In der letzten Saison fast abgestiegen, und jetzt spielten sie oben mit, flott, kombinationsreich, kreativ. Das liege nur am Trainer Daum. Langlott: „Der vermittelt, daß es eine Lust ist, zu gewinnen. Daß das Spielfeld auswärts genauso groß ist wie zu Hause. Dagegen Dörner...“ „...östlich unerlöst“, beendet Herr Fahrun den Gedanken. „Der sitzt immer noch hinter der Mauer“, verklickert ein Spielsystem, aber von Psychologie keinen Schimmer. Ein Trainer müsse immer einen Schuß Geisteskrankheit mitbringen. Es fallen die Namen Daum und Rehhagel. „Aber Dörner ist überhaupt nicht bekloppt“, so könne das mit Werder nichts werden, schließt Herr Geyer.
Es fehlt halt an allen Ecken und Enden an der Kreativität. Kein Wunder, daß ein Spieler wie Cardoso in Bremen nicht zurecht gekommen sei. Ratlosigkeit macht sich in der Runde breit, die Herrn Pulß zu Sätzen animiert, wie: „Im Fußball zählt, was in der Schüssel zappelt.“ Ja, und weiter?
Das ist die Stunde der Grablerschen Lieblingsthese. „Das liegt nur an der Großen Koalition“, ruft er erhitzt. Der Zusammenhang zwischen Fußball und Politik sei doch nun wirklich ausreichend bewiesen. Man solle sich doch nur an 1972 erinnern: Willy Brandt gewinnt die Wahl mit „mehr Demokratie wagen“, und die Nationalmannschaft wird Europameister und spielt den besten Fußball überhaupt. Na also, und so lange Scherf und Nölle in Bremen regieren, so lange könne man auch von Werder nichts erwarten, zumindest keinen begeisternden Fußball. „Keine Kreativität in der Stadt – keine Kreativität auf dem Platz. So sieht's doch mal aus. Und das heißt doch: Wenn sie schon nicht spielen können, dann müssen sie eben kämpfen, kämpfen, kämpfen.“ Dann stimme ja vielleicht, was Dörner gesagt hat. Daß nämlich Fußball nicht zuallererst Spaß machen muß, sondern Arbeit ist. Da könnten sich die versammelten Experten Kombinationsfußball wünschen, bis sie schwarz würden. Das sei momentan historisch-politisch einfach nicht dran.
Unruhe macht sich breit. „Elf Wiedener sollt Ihr sein“, ruft einer in die Runde. Und Herr Langlott ist ganz aufgeregt: „Also wenn das unsere Auffassung von Fußball ist, dann mache ich hier nicht mehr mit!“ Das will nun auch keiner.
Und so gehen die Herren auseinander. Schlauer zwar, irgendwie, aber trotzdem ratlos und vor allem maulig. Typisch bremisch eben. Ach, die Zeiten sind schlecht. Besonders in unserer kleinen Stadt. Wer wollte das bestreiten?
Aufgezeichnet von
Jochen Grabler
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen