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Anja im Käfig und in Ketten

■ Eine Fotoausstellung „Erotische Annäherung an den Sadomasochismus“ und ein SM-Small-talk-Abend zwischen Streckbank, Fesseln, Peitsche und Teppichklopfer

Die Rollen in der Folterkammer Catacombe sind an diesem Abend klar verteilt: Cassandra ist die Herrscherin, Ralf der praktizierende Masochist, Angela die stolze Domina. Und Kay? Was ist eigentlich Kay?

Kay Straßer ist auf den ersten Blick ein schüchterner Junge vom Lande (aus der Gegend von Pforzheim), 26 Jahre und etwas unsicher in bezug auf das Thema Sadomasochismus. Vor allem aber ist Kay Fotograf, der schon immer „im erotischen Bereich“ gearbeitet und der, per Zufall, Lust auf Sadomasochismus bekommen hat. Nein, nicht selbst, nur beruflich.

Seine Bilder heißen „Befreite Hände“, „Katja und Anne“, „Nichts geht mehr“, „Strafstiefel“, „Opferung“ oder einfach nur „Anja I“, „Anja II“ und „Anja III“. Anja ist seine Freundin, weder Domina noch Untergebene, und Anja ist sein Modell. „Was sie nicht wollte, das haben wir auch nicht gemacht.“ Den Bildern ist das anzusehen: Anja in Ketten, mit eher gelangweiltem Gesicht, oder Anja im Käfig, eher steif als lustvoll. Die warmen Bilder wirken hygienisch und klinisch, wohl deswegen, weil sich Kay in die SM-Szene mehr reingerochen als reingepeitscht hat. „Deswegen heißt die Ausstellung auch ,Erotische Annäherung an den Sadomasochismus‘.“ An die „Sache mit dem Schmerz“ hat er sich bewußt nicht rangetraut. Noch nicht.

Über die „Erotik in der Kunst“ ins Gespräch über Sex und seine verschiedenen Praktiken zu kommen, das versucht Andreas Piper, der Anfang des Jahres den Verein „Berliner Lust e.V.“ gegründet und seitdem verschiedene Ausstellungen organisiert hat – so auch die von Kay Straßer in der Catacombe, einer Folterkammer in Mitte, die allwöchentlich zum gemütlichen Partner-SM einlädt. Die zitty schrieb vor Wochen von einer „Kreuzung aus Hobbykeller und Folterkammer“, in der „alles erlaubt ist und das meiste verboten“.

Cassandra ist die Herrscherin des Ladens und eine „lebende Sadistin“, die Spaß am Auspeitschen und am Foltern und eigentlich keine Lust mehr hat, darüber zu diskutieren, ob SM nun pervers ist oder nicht. „Was ist denn normal?“ fragt Cassandra. Warum nehme sich die Gesellschaft das Recht heraus, über das, was andere aus Lust machen, zu urteilen? Wenn es Spaß mache, auf der Streckbank gefoltert, an den Brustwarzen gezwirbelt oder ausgepeitscht zu werden, wenn das alles freiwillig passiere, dann sei SM ganz legitim.

Angela, die stolze Domina, und Ralf, der praktizierende Masochist – sie könnte gut und gerne Bürokauffrau sein, er Kfz-Mechaniker –, sehen das nicht anders. „Ich empfinde absolute Erfüllung und Befriedigung, wenn ich von meinem Freund ausgepeitscht werde.“ Sexhungrig sei sie, sagt Angela, und auch schon mal verärgert gewesen, wenn ihr Freund zu früh aufgehört habe. Vertrauen sei wichtig. „Ich lasse mich beispielsweise nicht so fest fesseln, daß ich mich nicht mehr selbst befreien kann.“ Wäre das Gewalt? Ist das noch Erotik? „Wie definieren wir eigentlich Gewalt?“ will Andreas Piper wissen. „Jemandem den Arsch versohlen, das ist irgendwo schon Gewalt“, sagt Ralf. So recht darüber diskutieren will mann und frau aber nicht. „Ich bin froh, daß wir den Begriff Gewalt heute abend nicht verwendet haben“, sagt Cassandra. Das Wort gefalle ihr nicht, es sei zu negativ belegt. Jens Rübsam

Die Ausstellung „Erotische Annäherung an den Sadomasochismus“ ist noch bis Freitag in der Catacombe, Eichendorffstraße 5, zu sehen. Am Freitag, 20 Uhr, findet eine Podiumsdiskussion über „SM und Öffentlichkeit“ statt.

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