: Medienstadt Berlin auf dem Sprung
Entwickelt sich die Hauptstadt zum Mekka der Mediengesellschaft? Berlins Hollywood soll in Adlershof entstehen, die Sender bauen Studios. Aber vieles bleibt Immobilienfassade ■ Von Rolf Lautenschläger
Die beiden meiststrapazierten Worte bei der Frage nach dem Medienstandort Berlin lauten: „noch nicht“. Der Fernsehmogul Otto Meissner spricht zwar nicht mehr von Provinz, wenn er die Filmstadt an der Spree vor Augen hat. Aber zum Hollywood reicht es noch nicht. Seine Kollegin Regina Ziegler glaubt, daß nach der Jahrtausendwende der Knoten für die Medienmetropole platzt. Und selbst für die Macher der „Hauptstadtzeitungen“, ob bei Springer, Gruner + Jahr oder bei der kleinen taz steht fest: Vor dem Umzug von Regierung und Parlament nach Berlin bleibt der Zeitungsmarkt hinter den großen Verlagskapitalen Europas zweitklassig.
Wolfgang Branoner, Staatssekretär in der Wirtschaftsverwaltung, und der Medienbeauftragte des Senats, Michael Andreas Butz, hingegen jubeln Berlin zum Mekka der künftigen Medien- und Informationsgesellschaft hoch. Die Stadt sei produktionsfreundlich, Filmemacher, Produktionsfirmen und Sendeanstalten hätten angedockt, betont Butz. Und Branoner, der mit einem Wirtschaftsprogramm seiner Verwaltung Produzenten, Verlage und Kabelsender anlocken will, spricht von einem „unglaublichen Markt“, dem „Testgebiet für das digitale Fernsehn“, wo bereits heute 20 Milliarden Mark jährlich umgesetzt und 70.000 Menschen beschäftigt würden.
Boomt die Branche doch – oder noch nicht? Film ist 24 Bilder pro Sekunde, hat der französische Regisseur Jean-Luc Godard einmal gesagt – die Sache ist also in Bewegung. In der Statistik der Stadt zeigt die Medienkurve nach oben: Insgesamt 1.950 Verlage, Zeitungen, Zeitschriften und Vertriebe sitzen in der Hauptstadt. 900 technische Unternehmen, Film- und Fernsehgesellschaften produzieren und fast 600 Firmen aus dem Bereich digitaler und audiovisueller Medien arbeiten hier. Auch wenn es an großen Studios mangelt, es bis auf die Welt und die taz noch keine echte überregionale Tageszeitung gibt, und die Filmförderung im Vergleich zu Nordrhein-Westfalen eine Marginalie bildet – der traditionelle Medienstandort, an dem in den zwanziger Jahren Filme in über 200 Kinos flimmerten und 147 Zeitungen erschienen, setzt zum Sprung an.
Für die junge Generation der Kinogänger, die gar nicht so neidisch auf die benachbarte Traumfabrik Potsdam-Babelsberg schaut, weil dort mit Mythen und Filmkunst gehandelt wird, entsteht in Berlin eine „Filmerlebniswelt“ kommerziellen Charakters. Für das Massenpublikum Ost baut die Ufa gemeinsam mit dem Kino-Tycoon Volker Riech das Kino Kosmos an der Karl-Marx-Allee zu einem Filmtempel für über 2.000 Zuschauer um, indem er um den zentralen Rundbau einen Kranz unterirdisch platzierter Kinosäle anordnet, damit der denkmalgeschützte sozialistische Palast aus den sechziger Jahren keinen Schaden nimmt.
Der neue Ostberliner Markt der Filmfans hat auch dazu geführt, daß in der Stadt das Zauberwort „Multiplex“ in die Wirklichkeit umgesetzt wird. Nachdem sich die Aufseher der Stadtentwicklung lange gegen die Mega-Schachteln mit High-Tech-Projektion in steilen großen Sälen samt poppig ausgestatter Foyers gewehrt hatten, sind gleich mehrere Multiplex-Cinemas in Planung: In den Plattenbezirken Marzahn und Hohenschönhausen sollen zwei Multiplex-Kinos entstehen. Ebenso ist geplant, in den Bezirken Friedrichshain und Treptow ein Großkino zu errichten, in dem computergesteuerte Projektoren von einem zentralen Vorführraum aus die Säle gleichzeitig bespielen können.
Im neuen Zentrum, am Potsdamer Platz, setzen die Investoren debis und Sony neben Büros und Einkaufsmalls ebenfalls auf den Trend zur Medien- und Unterhaltungsgesellschaft. Während debis mit einem Kinocenter sowie einem 3-D-Rundkino unter eine 950 Quadratmeter großen Projektionskuppel von Renzo Piano lockt, plant Helmut Jahn für den Elektronikriesen auf 36.000 Quadratmeter Bruttogeschoßfläche eine kleine Film- und Videostadt. So gehören für die ovale Plazza eine Video-Wand, auf der mit Sicherheit auch die Werbefilme des Konzerns flimmern, ebenso zum repräsentativen medialen Equipment wie das Multiplex-Großkino mit 2.300 Plätzen. Mit in das Ensemble zieht das Filmhaus für die Stiftung Deutsche Kinemathek sowie die Deutsche Film- und Fernsehakademie Berlin (DFFB). Über einen Umzug der Filmfestspiele vom Zentrum am Zoo zu Sony wird noch verhandelt – Synergien zwischen Filmkunst und Medienindustrie?
Doch nicht Sony, die Studios in Tempelhof oder Haselhorst avancieren zum bedeutendsten Medienstandort der Stadt. Das Berliner Hollywood ist im südöstlichen Bezirk Adlershof geplant. In dem 465 Hektar großen Wissenschaftspark entsteht neben zwei Forschungszentren für Optik und dem Ausbildungszentrum der Telekom das Medien Centrum Adlershof (Mec), in dessen Ausbau 400 Millionen Mark investiert werden. Schwerpunkt der 30 Hektar großen „MediaCity“, wie der Geschäftsführer Wolfgang Schultes die Medienfabfrik nennt, bilden die sechs Studios des ehemaligen DDR-Fernsehfunks (DFF) direkt am S-Bahnhof Adlershof. Die geplante Medienfabrik für die Produktion von Fernsehfilmen, Shows und Animationen soll darüber hinaus mit einem Baukomplex für digitale Hochgeschwindigkeitsnetze erweitert werden. Außerdem ist ein Multiplex-Kino für 3.000 Zuschauer neben dem bestehenden Kinosaal für 850 Besucher geplant.
Doch der High-Tech-Medienstadt in Adlerhof gelingt nicht so recht der große Schritt nach vorn. Seit einem Jahr residiert im Betriebsteil „elektronische Medienfabrik“ zwar ein Tochterunternehmen der US-Firma Silicon Studio Center, das elektronische Bildbearbeitungen produziert und mit der Außenstelle des Deutschen Rundfunkarchivs kooperiert. Aber ob es die MediaCity wirklich schafft, zum Berlin-Hollywood aufzusteigen, wird derzeit nicht nur von Kritikern mit Skepsis beurteilt. Es sei nicht leicht, private Investoren zu finden, klagt Schultes. Denn die finanzielle Krise des Landes hat dazu geführt, daß der recht abseitig gelegene Standort in seiner Entwicklung „gestreckt“ wird. Der Traum von der Wissenschaftsstadt, einem Campus der Humboldt-Universität, Wohn- und Arbeitsstätten für rund 15.000 Menschen, könnte darum zu einer recht langfristigen Angelegenheit werden – mit dem Risiko der Perspektivlosigkeit. Trotzdem bleibt die Entscheidung richtig, daß sich das Medien-Centrum nicht als Konkurrenz zu Babelsberg sieht und weniger auf die Produktion von ambitionierten Spielfilmen setzt. Denn klar ist – bei aller Liebe zur Filmkunst –, die Zukunft gehört den Medienstandorten, an denen neue elektronische Techniken und Produktionen für die Nutzer von Datenautobahnen konzipiert werden.
Als Nachrichtenhauptstadt befindet sich Berlin dagegen schon im Zustand konkreten Ausbaus. Alle großen Fernsehanstalten wollen zum Regierungsumzug 1999/ 2000 an der Spree vertreten sein – auch der Bund selbst mit einem Neubau für das Bundespresseamt. Im Dezember wurde für das 220-Millionen-Mark-Projekt der Architekten KSP der Grundstein gelegt, das Raum für über 1.500 Quadratmeter Nutzfläche bietet. Das Gebäude zwischen Spree und Dorotheenstraße haben die Planer mit einem gläsernen Flachbau für das Foyer und die Büros entlang einer Brandmauer geformt, schnittig sind auch die eingestellten gläsernen Pavillons für sechs Säle und Konferenzräume, die ab 1999/2000 als Nahtstelle zwischen Politik und Öffentlichkeit dienen.
Auch die Studios der Sendeanstalten konzentrieren sich in der historischen Mitte, nah zum Regierungsviertel. Als erster Sender hat Sat.1 mit dem Bau seines Sendezentrums in der Jägerstraße vorgelegt: Die drei Fernsehstudios für 170 Millionen Mark der Architekten Hoffmann/Uellendahl beinhalten zwar auf 16.000 Quadratmeter Räume der medialen Superlative. Äußerlich gleicht der Bau aber einem Bürocontainer mit alten steinernen Fassaden, der wenig von der Schnelligkeit, Modernität und Gleichzeitigkeit als Chiffren rasanten Informationsaustausches widerspiegelt.
Ganz bewußt hat sich die ARD im Regierungsviertel „in die erste Reihe“ gesetzt. Der „Bericht aus Berlin“ soll einmal direkt mit am Nabel der politischen Entscheidungsträger hängen. Der Bau am Reichstagsufer, unmittelbar hinter dem Reichstagsgebäude und den Büros der Parlamentarier gelegen, erscheint denn auch wie ein Appendix der Dorotheenblöcke. Mit seiner leichten Krümmung korrespondiert er zwar mit dem kurvigen Verlauf der Spree und paßt in die Topographie des Quartiers. Doch von einer Informationszentrale, die den schnellebigen Charakter des Metiers symbolisiert, ist auch bei diesem sechsgeschossigen Riegel der Architekten Ortner und Ortner nur wenig spürbar. Das Team entwarf eine gleichförmig gerasterte Stein-Glas-Fassade, hinter der sich ab der ersten Etage die Redaktions-, Technik- und Senderäume befinden. Damit etwas Leben in die Bude kommt, ist geplant, im Erdgeschoß eine Ladenzeile einzurichten.
Der künftige Berliner ZDF-Ableger an der Straße Unter den Linden firmiert in der Stadt unter der Rubrik „Skandalprojekt“. Denn das Zweite Deutsche Fernsehen, das den historischen Zollernhof 1994 an den „Linden“ erwarb und seit 1995 umbaut, scherte sich wenig um die Substanz des denkmalgeschützten Büro-und Geschäftshauses aus den Jahren 1919/21 und ließ die inneren Gebäudeteile ebenso abreißen wie das zur Mittelstraße gelegene Hinterhaus. Allein das Vorderhaus mit seiner neoklassizistischen Fassade wurde erhalten. Für die ZDF-Studios entstehen auf 20.000 Quadratmeter Nutzfläche an der Mittelstraße nun Neubauten „in ähnlicher Form wie die Altbauten“.
Das Skandalöse an dem Verfahren war nicht nur der Verlust von siebzig Prozent alter Bausubstanz in einer Stadt, die unter dem Abrißwahn bis über die Schmerzgrenze hinaus leiden mußte, sondern auch, daß der Abriß mit „dem öffentlichen Interesse an der Ansiedlung des Senders“ vom vormaligen Senat begründet wurde. Beim Konflikt Kommunikationszentrale versus Denkmal wurde dem Begehren der Mainzelmänner nachgegeben, die zwar zu Recht einklagten, ihre Studios müßten aus technischen Gründen im Untergeschoß untergebracht und deshalb das Quergebäude geschleift werden. Daß jedoch nicht der Versuch unternommen wurde, den Sender – der in seiner Rolle als Förderer der Stiftung Denkmalschutz nun unglaubwürdig geworden ist – in ein anderes Haus zu manövrieren und mit einem zweifelhaften öffentlichen Interesse argumentiert wurde, das in Wirklichkeit nur ein wirtschaftspolitisches war, macht den Skandalwert aus.
Schließlich wird vom traditionellen Berliner Zeitungsviertel rund um die Kochstraße und den Spittelmarkt wohl doch nur der Mythos großer Zeitungen, Presseschlachten und endlos rotierender Druckzylinder übrigbleiben. Denn bis auf die taz, die seit 1988 in dem denkmalgeschützen Altbau und dem von Gerhard Spangenberg 1990 angedockten Glashaus „täglich eine radikale Zeitung“ produziert und auf das benachbarte Springerhochhaus sowie die dahinterliegende Bundesdruckerei blickt, haben sich alle Hoffnungen auf eine stärkere Wiederbelebung des alten Zeitungsviertels zerschlagen. Der Berliner Verlag hat seinen Turm am Alexanderplatz gerade modernisiert, der Tagesspiegel bleibt in der Potsdamer Straße, und die kleineren Verlage, Rundfunkanstalten und Zeitungen bleiben beharrlich in ihren umgenutzten Fabrik- und Büroetagen in Kreuzberg, Mitte, Prenzlauer Berg oder Friedrichshain.
Die Springer-Druckerei an der Kochstraße wurde geschlossen, weil sich der Verlag an der Peripherie ein neues Druckhaus hochzog. Die Pläne von Bertelsmann, am Spittelmarkt ein innovatives Medienzentrum zu errichten, scheiterten 1993/94, weil dem Verlagsriesen die Finanzierung und Vermarktung auf dem immer riskanter werdenden Berliner Büromarkt zu unsicher erschien. Und auch die Sanierung des Mosse- Hauses von Erich Mendelsohn, der in den zwanziger Jahren für das renommierte Berliner Tageblatt eine expressive Aufstockung entwarf, knüpft nicht an die damaligen glorreichen Zeitungstage an: Das „Druckhaus Mitte“ beherbergt noch eine kleine Druckerei. Mehr als bunte Werbeblätter werden in dem Bürohaus nicht hergestellt.
Daß Springer mit der Planung eines kompletten Büro- und Dienstleistungszentrums mit dem klingenden Namen „Multimedia- Viertel“ auf einem dem Hochhaus-T gegenüberliegenden Parkplatz es in Sachen Verlagsmeile noch einmal wissen will, ist eine Chimäre. Die geplante Baumasse mit 180.000 Quadratmeter Bruttogeschoßfläche, die dem halben Volumen von debis am Potsdamer Platz entspricht und nach einem strittigen Wettbewerbsverfahren von den Architekten Renton, Howard, Wood und Lewin (London) errichtet werden soll, deutet auf eine wirtschaftliche Verwertbarkeit hin – für alles und nichts: Ein typischer Berliner Büroblock anstelle der Druckerei, Wohnungen und Läden auf dem straßenseitig geschlossenen Parkplatz und ein zweiter fetter Block für Dienstleistungen auf dem Areal zwischen Koch- und Charlottenstraße signalisieren auf den ersten Blick mehr bekanntes Immobilien-Development als zukunftsweisende Medienarchitektur.
In 65 Prozent der Neubauten sollen zwar „Infrastrukturen für hochleistungsfähige Technologiezentren, Nutzungen von Satelliten- Kapazitäten und branchentypische Gewerbe“ einziehen. Aber so verquer die Nutzungen klingen, so unpräzise ist das Konzept insgesamt. Die Sache erinnere an eine Bildzeitungsente, sagte dazu ein Zeitungsredakteur. Bisher hat ihm keiner widersprochen.
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