: Verfall und lose Sitten
Frauen in der großen Stadt: „City Lights“, eine sehenswerte Filmreihe jenseits des Mainstreams mit Produktionen von international renommierten Regisseurinnen im Kino Arsenal ■ Von Gudrun Holz
Das Hongkong in Clara Laws „Autumn Moon“ (1992) ist eine Stadt der verspiegelten Ansichten, der hohen Häuser ohne Ende – nichts erinnert an die wühlige Metropole, die die Noch-Kronkolonie im (filmisch) allgemeinen zu sein scheint. Wie kalligraphische Ornamente unterbrechen blau verfremdeten Fassaden die novellistisch erzählte Geschichte der 15jährigen Wai. Dazu kommen Urbanität beschwörende Zwischentitel, die sich wie Fremdkörper in die von Liebes-, Familien- und Freundschaftsbeziehungen bestimmte Erzählung einklinken.
Eine Strandpromenade, ein Dachrestaurant mit verwehten Tischtüchern, eine halbverlassene Familienwohnung und ein billig möbliertes Apartment sind die schlichten Örtlichkeiten, an denen sich die Handlung dieses atmosphärisch feingestimmtem und in langen Einstellungen konzipierten Films abspielt.
Wai trifft den japanischen Touristen Tokio, der sie mit der Frage nervt, wo man denn „traditionell gut essen könne“. Kurzerhand schleppt sie den Kulturhungrigen zu McDonalds. Die beiden schließen eine komplizenhafte Allianz, die durch wechselseitiges Radebrechen in Esperanto-Englisch dem kantonesisch-japanischen Dialog eine verschrobene Note verleiht.
Die Regisseurin Clara Law schickt ihre Protagonisten auf eine desillusionierende Suche nach persönlich gültigen Kulturtraditionen. Nur beim Essen werden sie fündig. Wais Oma („Ihre Küche ist komplizierter als der Bau einer Atombombe, darum ist sie so köstlich“) bekocht die Enkelin, Tokio und ihre Katze traditionell chinesisch.
„Autumn Moon“ unterscheidet sich deutlich vom Mainstream. Verdruckste Begegnungen wie Tokios Zufallsbegegnung mit einen jungen Japanerin, die er für die Schwester irgendeiner Exgeliebten hält und mit der er sich für ein oder zwei „Nummern“ auf dem Klo trifft, werden weder als schrille Exzesse inszeniert noch moralisch überfrachtet, sondern als schnöder, vielleicht etwas anonymer, vielleicht etwas harter sexueller Alltag ins Bild gebracht.
Mindestens ebenso eindrücklich als städtisches Porträt ist „Redupers – die allseitig reduzierte Persönlichkeit“ von Helke Sander. 1977 als Recherchefilm in eigener Sache gemacht, ist er gerade wegen seiner konsequenten Ablichtung mittlerweile wegsanierter Straßenzüge rund um den „Kotti“ oder wiedervereinigter (Mauer-)Stadtelemente ziemlich aufregend. Es ist das – natürlich – schwarzweiße Bild der Frontstadt der Baulücken, als der Berliner Bürgermeister noch Klaus Schütz hieß und der UNO-Generalsekretär Waldheim. Längst vergessene Soldatensender oder die berüchtigte „Stimme der DDR“ dudeln im Off, während die Kamera Zeile für Zeile die Waldemar- oder Dankelmannstraße abfährt.
Helke Sander selbst spielt die freie Pressefotografin Edda, die neben Tochteralleinerziehung noch in ein Fotoprojekt zur Dokumentation West-Berlins verstrickt ist. „Redupers“ sei ein „in Maßen komischer Beitrag zu der Frage, warum aus Frauen so selten was wird“, so die Produktionsmitteilung. Tatsächlich ist es Galgenhumor, den Edda lakonisch verbreitet, wenn sie beispielsweise beim Redakteur im Constanze-Pressehaus abblitzt oder ihr ein mittlerweile arrivierter Galerist die Flötentöne des „Arrangierens“ vormachen will.
Der Film, schon in den siebzigern eine Bestandsaufnahme, ist inzwischen Berlin-Historie, ebenso wie der wohl konsequenteste Kunstfilm der Kunstfilmerin Ulrike Ottinger. In „Bildnis einer Trinkerin“ ist die marode Schmuddelstadt die ideale Kulisse für Tabea Blumenschein, die hier filmhalber sprachlos einen konzertierten Trip ins „Delirium Tremens“ antritt. Immer verfolgt von Magdalena Montezuma und zwei Kolleginnen in Pepita, die als „soziale Frage“ und „öffentlichen Meinung“ Schritt und Tritt der stilvoll Saufenden kommentieren. Die Stadt ist hier ein willkommenes Einfallstor für Verfall und lose Sitten, die die Saufheldin in Prollkneipen und Sub-Etablissements ausprobiert.
„Nehmen Sie es wie ein Mann, Madame!“ (1974) und „Born in Flames“ (1982/83) sind eigentlich nicht explizit stadtbezogene Filme. Eher ist die Stadt hier das Terrain gesellschaftlicher Visionen und politischer Utopien. Ersterer ist eine Rollentausch-Träumerei, geboren aus dem geduckten und gepeinigten Hirn einer dänischen Hausfrau, die am Ende schon froh ist, das sie statt den Segnungen der Wechseljahr-Diagnostik wenigsten eine ordentliche Fortbildung abbekommt.
Lizzie Bordens „Born in Flames“ dagegen macht Ernst mit der feministischen Revolution: Bewaffnete Kämpferinnen werden ausgebildet, Radio- und Fernsehstationen generalstabsmäßig in den Dienst der Frauensache gestellt. Und am Ende sind die lokalen Details überflüssig geworden.
Noch bis zum 26.1. im Arsenal, Welserstr. 25, einzelne Termin siehe Cinema-taz
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