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„Problemlos Männer zusammenfalten“

Bei der Bundeswehr sind die Frauen auf dem Vormarsch. Die einen wollen dienen, weil sie keine Arbeit haben. Die anderen, weil sie gern Rekruten anschnauzen. Kämpfen dürfen die Soldatinnen nicht  ■ Aus List Per Hinrichs

Heute morgen hätte sie wieder alles hinschmeißen können. Einfach die Sachen zusammenpacken, nach Westerland fahren und auf den nächsten Zug nach Wilhelmshaven warten. Der Marsch war hart, am Ende saß Matrose Andrea Onnen wie ein Häufchen Elend am Boden, wollte nicht mehr weiterlaufen und heulte. „Da hat mich meine Ausbilderin richtig angeschrien – und damit wieder aufgebaut. Das habe ich eben gebraucht“, erzählt sie achselzuckend. Motivation durch Anbrüllen? „Der Ton ist eben rauh bei der Marine.“ Matrose Andrea Onnen steht ihre Frau. Beim Bund.

Bedenken gegen den Dienst an der Waffe sind kein Thema für die einundzwanzigjährige. Geht es ihr jetzt nicht wieder gut? Hat sie das kleine Tief nicht prima überstanden und kann mit ihrer Ausbilderin Tanja Köppen darüber lachen? Schließlich wußte die junge Frau, was die vierjährige Verpflichtung bei der Bundeswehr als Sanitätssoldatin bedeutet. Astrid Albrecht-Heide, Expertin für Frauen im Militär und Professorin für Sozialisationsforschung an der Technischen Universität Berlin, findet drastische Worte für eine solche Entscheidung: die Soldatin wird „Teil einer Maschine und muß ihre Subjektivität und Individualität opfern“.

Mit dem Alltag von Matrose Onnen hat das wenig zu tun. Sie lernt marschieren. Auf der Insel Sylt, die angeblich „bei jedem Wetter schön ist“, wie es in den Immobilienanzeigen der großen Tageszeitungen zu lesen steht. Heute allerdings müssen sich selbst hartgesottene Nordsee-Fans warm anziehen. Ein lausig kalter Wind bläst um die reetgedeckten Häuser, grau in grau liegen die Dünenketten über dem verlassenen Strand. Die Marine hat sich auf den nördlichsten Zipfel der Insel verzogen, nach List, weitab von Whisky- Meile und Westerland-Schickeria.

Den letzten Sturm habe man gut überstanden, berichtet der Kommandeur der „Marineversorgungsschule“, Kapitän zur See Roland Koser: „Wenn man bei uns die Fenster auch nur einen Spalt breit offen läßt, fliegen sie gleich aus dem Rahmen.“ Im übrigen könne er nicht verstehen, was an Frauen in Uniform so interessant sei. „Das ist doch was ganz Normales.“

Stimmt nicht ganz. 3.100 Frauen beschäftigt die Bundeswehr – in Militärmusikkorps oder Sanitätseinheiten. Ihr Anteil an der Gesamtarmee beträgt bisher nur etwa zwei Prozent, doch die Tendenz ist steigend: 73 Prozent der Einstellungsanträge für die mittlere Laufbahn kommen von Frauen. Seit 1991 können sie die Unteroffizierslaufbahn in nicht-kämpfenden Einheiten einschlagen. Auch das Medizinstudium steht Bewerberinnen offen. Sie müssen sich für mindestens fünfzehn Jahre verpflichten und Offizierslehrgänge belegen.

Die militärische Karriere interessiert Frauen bisher kaum. Und diejenigen, die bei der Truppe anheuern, haben nur selten die Landesverteidigung im Sinn. „Das gute Gehalt“ war für Stabsunteroffizier Sabine Kraack der wichtigste Grund, in die Kaserne einzurücken: „Als Hotelfachfrau habe ich zuviel gearbeitet und zuwenig verdient. Das ist jetzt anders.“

Tanja Köppen kommt richtig ins Schwärmen, wenn sie nach der Motivation für ihren Dienst als Wehrausbilderin gefragt wird. „Die Kameradschaft ist toll bei der Bundeswehr. Der Zusammenhalt ist so stark wie in einer Familie“, sagt sie. „Man fühlt so etwas wie Geborgenheit. Auch wenn ich manchmal hart zu den Rekruten sein muß.“ Männer, weiß Unteroffizier Köppen – weibliche Dienstgrade gibt es nicht – Männer sind für sie häufig „Weicheier, die Respekt vor mir haben müssen“.

Manchmal dauert es ein bißchen, bis die Jungs sich einer Frau unterordnen. Doch nach ein paar Wochen, wenn die Rekruten kapiert haben, daß sie Tanja Köppen gehorchen müssen wie jedem anderen Vorgesetzten, heult sich schon mal einer in ihrem Büro aus, weil ihm die Freundin weggelaufen ist. „Das gehört eben auch zu meiner Arbeit. Aber es ist manchmal sehr schwer, diesen Spagat auszuhalten: einerseits eine autoritäre Vorgesetzte zu sein, andererseits die Kummerkastentante.“

Ihre Kollegin Beate Binger sieht die Sache mit dem Bund deutlich nüchterner. Die Stralsunderin hat gleich drei Freundinnen, die zur Bundeswehr gegangen sind. Nicht aus Idealismus. „Was soll man bei uns sonst machen? Arbeit gibt's ja kaum.“ Wirtschaftliche Perspektivlosigkeit läßt militärische Strukturen attraktiv erscheinen: Das Prinzip Befehl und Gehorsam schaffe Klarheit, sagt Tanja Köppen – über die Geschlechtergrenzen hinweg. „Ich kann hier problemlos Männer zusammenfalten, wo geht das sonst?“

Die Männer haben allerdings immer weniger Lust, sich zusammenfalten zu lassen. Im Golfkriegsjahr 1991 lehnten 151.000 Wehrpflichtige den Dienst mit der Waffe aus Gewissensgründen ab, das war bis dato ein Rekord. Seither ging die Zahl der Verweigerer langsam zurück. Doch 1995 schnellte sie wieder nach oben: 160.000 entschieden sich für den Zivildienst. Auf der Bonner Hardthöhe wurde der Knick in der Statisik abgewiegelt. Es seien, so das Verteidigungsministerium, 1995 „besonders viele Männer gemustert worden und daher auch verstärkt Anträge auf Kriegsdienstverweigerung gestellt worden“. Warum jeder dritte junge Mann der Bundeswehr den Rücken kehrt, könne man sich nicht erklären. „Wir betreiben keine Motivforschung.“

Die jungen Soldatinnen, die über die Insel Sylt marschieren, verstehen nicht, warum die „große Familie“ (Köppen) im privaten Umfeld auf Ablehnung stößt. Sie freuen sich darüber, daß es in der Armee keine Extras für sie gibt: Frauen tragen die gleichen Kampfanzüge, müssen die gleichen Strecken laufen, das gleiche Pensum erfüllen wie ihre männlichen Kollegen. „Sie werden Teil einer Mega- Männlichkeitsmaschine“, nennt Soldatinnen-Expertin Astrid Albrecht-Heide die Metamorphose.

Persönliche Veränderungen bleiben da nicht aus. In der Lister Kaserne hat sich eine Soldatin die Haare wie ein GI aus einem Vietnam-Film abrasiert. Und abends, beim Würfelspiel im Unteroffiziersheim, hören sich die mitspielenden Frauen die Zoten ihrer Kameraden an – und lachen lauthals mit. „Das kann ich ab, das finde ich doch auch witzig“, sagt Sabine Kraack. Und verschweigt nicht, daß sich ihr Mann erst damit abfinden mußte, daß sie mit einem Haufen Männer zusammenlebt und sinnstiftende Soldatenparolen wie „Bei uns ist es hart, aber herzlich“ verinnerlicht.

Ob die wohl helfen, wenn es mal nicht so gut läuft? „Zwei Beziehungen habe ich in meiner Bundeswehrzeit aufzubauen versucht“, erzählt Tanja Köppen, „aber es ist immer danebengegangen. Die haben nicht verstanden, warum ich das hier mache.“ Eine Soldatin als Freundin – mit der Vorstellung können manche Männer offenbar wenig anfangen.

Und nicht nur die. Wenn Unteroffizier Köppen am Wochenende ins heimische Flensburg fährt, dann trifft sie inzwischen „völlig andere Leute als noch vor zwei Jahren. Die alten Freundinnen sind alle weg, seit ich beim Bund bin.“ Die Gründe dafür sucht sie bei den anderen: „Die kommen damit eben nicht klar.“

Die Imageprobleme der Bundeswehr sind nicht neu. Daß die Truppe nun auch als Auffangbecken für Frauen gilt, die im zivilen Berufsleben gescheitert sind, hören die Militärs nicht gern. Sie loben „unsere Soldatinnen“, berichten vom „anderen Ton“ in den Kasernen, wo Damen dienen. „Freundlicher und gesitteter“ gehe es nun zu. Die Rekrutinnen seien „leistungsbereiter“ und „anpassungsfähiger“ als viele männliche Soldaten. Auch das Bundesverteidigungsministerium zeigt sich begeistert: „Das läuft sehr gut. Wir stellen Frauen gerne ein.“

Was nach Gleichberechtigung klingt, hat einen ganz pragmatischen Grund: „Wir brauchen sie, denn wir haben zuwenig Bewerber“, gibt das Verteidigungsministerium zu. Was man Frauen bei der Bundeswehr bieten kann, ist allerdings bescheiden. Hochrangige Führungspositionen bleiben ihnen bisher verwehrt. Lediglich bei der Luftwaffe dient eine Ärztin im Generalsrang. Und daß Soldatinnen bei der Truppe mehr dürfen als in der Musikkapelle oder im Sanitätsskorps zu marschieren, verhindert Artikel 12 a des Grundgesetzes. Der schließt Frauen explizit vom „Kriegsdienst an der Waffe“ aus. In einer Begründung des Rechtsausschusses des Bundestages aus dem Jahre 1948 heißt es, dies sei mit der „natürlichen Bestimmung der Frau nicht zu vereinbaren“.

Was auch immer die „natürliche Bestimmung der Frau“ sein mag: Die Meinungen über eine weibliche Wehrpflicht gehen weit auseinander. Aus verschiedensten Parteien melden sich Stimmen, die sich für eine weitergehende Beschäftigung von Frauen bis zum Waffendienst einsetzen. Allen voran forderte Emma-Chefin Alice Schwarzer 1984 die Öffnung der Kasernen für Frauen. Sie lehnt die Bundeswehr zwar als Institution ab, möchte Frauen aber auch dort nicht diskriminiert wissen – und plädiert für deren Einsatz in Panzern und Düsenjägern.

Auch bei den Grünen ist das Tabu von Frauen in der Bundeswehr aufgebrochen. Rita Grieshaber, Mitglied der Bundestagsfraktion, könnte sich eine weitere Öffnung der Armee vorstellen. Und Günther Nolting (FDP) spricht seit Jahren vom „letzten Berufsverbot für Frauen“, das er gerne kippen würde. Die SPD dagegen lehnt jedes Engagement von Frauen in der Bundeswehr kategorisch ab. „Der falsche Ort der Emanzipation“, sagt Hanna Wolf, die frauenpolitische Sprecherin der Fraktion.

Die Sylter Soldatinnen stört das nicht weiter. Abends, lange nach Dienstschluß, brennt in Stube 10 noch Licht. Beate Binger brütet im Schein einer Nachttischlampe über ihren Lehrbüchern. Der Resopaltisch in der Mitte des Raumes ist mit Büchern und Blättern übersät. „Helfen“ möchte sie bei der Bundeswehr, „am liebsten in Bosnien“. Neben die Unterlagen hat sie ein Bild von ihrem Freund gestellt. „Jetzt, wo ich hier bin, sehen wir uns natürlich nicht so oft“, sagt die Zwanzigjährige. „Aber er steht voll zu dem, was ich hier mache.“

Wenn Beate Binger ihren Unteroffizierslehrgang hinter sich gebracht hat, will sie sich überlegen, ob sie sich weiterverpflichtet. „Es gefällt mir schon sehr gut.“ Das war nicht immer so im Berufsleben: Eine angefangene Friseurlehre hat sie nicht beendet, die Schule für Wirtschaft und Verwaltung abgebrochen. Gefragt, was sie denn gemacht hätte, wenn die Bundeswehr sie nicht genommen hätte, zögert sie mit der Antwort. Dann schaut sie auf und sagt: „Ich habe keine Ahnung.“

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