: „Die Bevölkerung hat resigniert“
■ Emily Lau Wai-hing, Abgeordnete im Legislativrat, zur Zukunft Hongkongs
Die Aussichten für eine demokratische Entwicklung Hongkongs sind düster. Es war von Anfang an offensichtlich, daß die chinesische Regierung zu einer strengen Kontrolle der künftigen Sonderverwaltungsregion Hongkong entschlossen ist. Nur Menschen, die sich von ihrem Wunschdenken leiten lassen, haben die Zeichen an der Wand übersehen. Hätten Hongkongs Bürger die Wahl, würden sich viele für eine Demokratie nach westlicher Art entscheiden. Zur Zeit hat die Bevölkerung resigniert, weil sowohl die künftige Regierung der Sonderverwaltungsregion als auch die künftige Legislative von Peking bestimmt wurden. Die Bevölkerung sieht keinen Weg, um Chinas kommunistische Regierung zu einer liberaleren Politik zu bewegen.
Seit seinem Amtsantritt im Juli 1992 hat der britische Gouverneur Chris Patten versucht, seine Regierung transparenter zu machen und seiner Rechenschaftspflicht stärker nachzukommen. Unter der britischen Kolonialherrschaft gibt es eine gegenseitige Kontrolle zwischen der ernannten Exekutive und dem teilweise direkt gewählten Legislativrat. Dieses System wird am 1. Juli abgeschafft. Für Hongkong ist dies ein Schritt rückwärts.
Während der frühere Großreeder Tung Che-hwa gegenwärtig seine Amtsübernahme als künftiger Regierungschef vorbereitet, darf er nicht die effiziente Arbeit der jetzigen Regierung unterminieren. Jeder Versuch, von höheren Beamten zu verlangen, ihren Job bei der jetzigen Regierung zu kündigen, um mit Tung neu zu beginnen, wäre gleichbedeutend mit dem Versuch, der Patten-Regierung ihre Beamten wegzunehmen. Dies wäre ein Bruch und einem stabilen Übergang nicht dienlich.
Ein noch größeres Problem ist die Provisorische Legislative. Das Gremium ist weder in der Gemeinsamen Sino-Britischen Erklärung von 1984 noch im künftigen Grundgesetz der Sonderverwaltungsregion, dem Basic Law, vorgesehen. Die demokratischen Kräfte Hongkongs wie auch die Regierungen Großbritanniens und der USA sind gegen dieses illegale Gremium. Durch die Provisorische Legislative sollen vor allem Mitglieder der Demokratiebewegung ausgeschlossen werden. Das verspricht für die Zukunft wenig Gutes und zeigt, daß die chinesische Regierung gegenüber abweichenden Meinungen intolerant ist.
Viele Hongkonger Geschäftsleute äußern sich sehr optimistisch über die Zukunft und sagen, es ginge weiter wie bisher. Einige geben zu, daß für sie politische Freiheiten nicht zählen, solange sie selbst die Freiheit haben, Geld zu verdienen. Sie haben gegenüber der Tatsache resigniert, daß das künftige System nach allgemeiner Einschätzung korrupter wird und weniger Chancengleichheit bietet. Diese egoistischen und kurzsichtigen Menschen sprechen nur für sich selbst. Ihre Ablehnung der Demokratie unterminiert die Interessen der Bevölkerung Hongkongs, und sie verdienen, dafür verachtet zu werden. Bemerkenswert ist, daß viele Geschäftsleute Vorbereitungen für eine Auswanderung getroffen haben, indem sie für sich und ihre Familien ausländische Staatsbürgerschaften und Besitztümer erwarben. Diese Menschen sind Heuchler.
Chinas Regierung läßt sich gern von Singapurs ehemaligem Ministerpräsidenten Lee Kuan Yew beraten, und einige haben auch vorgeschlagen, Singapur mit seinen wirtschaftlichen, aber kaum politischen Freiheiten könnte ein gutes Modell für Hongkong sein. Dem widerspreche ich, denn ein wichtiger Grund für Hongkongs Erfolg ist seine freie und lebhafte Gesellschaft, in der unterschiedliche Meinungen ohne Angst vor negativen Konsequenzen vertreten werden können. Viele in Hongkong begrüßen diese Freiheiten. Der Versuch, die Stadt in eine sterile und unterwürfige Geldmaschine zu verwandeln, würde Hongkongs Charakter fundamental ändern und wäre deshalb für viele unakzeptabel.
China ist daran interessiert, der internationalen Gemeinschaft anzugehören. Ich hoffe deshalb, daß Peking immer wieder an die Verhaltensstandards erinnert wird, die einer verantwortungsvollen Nation und einem Mitglied des UN-Sicherheitsrates entsprechen.
Viele ausländische Firmen sind an Geschäften mit China interessiert. Das sollte niemanden daran hindern, sich gegen Menschenrechtsverletzungen auszusprechen, weil dieses Thema – auch wenn die chinesiche Regierung es anders sieht – grenzüberschreitend ist. Wir haben uns mit dem Rest der Welt gefreut, als viele Länder Osteuropas aus den Trümmern des Kommunismus aufstanden. Hongkong scheint in die entgegengesetzte Richtung zu gehen. Doch wir hoffen, dies mit Mut, Entschlossenheit und gutem Willen verhindern zu können. Emily Lau Wai-hing
Übersetzung: Sven Hansen
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