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Eine Zeitbombe in der Brust

Über 400.000 Frauen klagen in den USA gegen Hersteller von Silikonimplantaten  ■ Von Karin Bundschuh

Seit einigen Wochen geistert eine Anzeige durch deutsche Zeitungen und Zeitschriften, die für ziemliche Verwirrung sorgt. Ein Pharmaunternehmen aus den USA, die Dow Corning Corporation (DCC), sucht Patienten, denen irgendwann einmal Silikon- oder Silikon-Metallimplantate aus der Produktion von DCC oder ihres Tochterunternehmens Dow Corning Wright Corporation (DCWC) eingepflanzt wurden. Wer sich angesprochen fühlt, wird aufgefordert, bis zum 14. Februar Schadenersatzansprüche gegen den Konzern geltend zu machen – egal, ob ihm der Kunststoff im Körper Beschwerden bereitet oder nicht. Der Anzeigentext läßt allerdings völlig offen, welche Gefahr von einem solchen Implantat ausgehen kann. Überdies besticht er nicht gerade durch Klarheit und Verständlichkeit. Kein Wunder also, daß Betroffene verunsichert oder sogar massiv verängstigt sind. Wodurch ihnen, wie Emil Tschöpe vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte fürchtet, akut der größte gesundheitliche Schaden droht.

Erste Zweifel an der Unbedenklichkeit von Silikonimplantaten tauchten bereits Anfang der 70er Jahre auf. Im Frühjahr 1992 verbot die US-amerikanische Food and Drug Administration (FDA) dann deren Verwendung aus rein kosmetischen Gründen. Die Zeit der künstlich geschaffenen Traumoberweiten ist in den USA seitdem vorbei. In anderen Ländern wird die Verpflanzung der Kunststoffkissen nur noch dann empfohlen, wenn medizinische Gründe vorliegen, beispielsweise um nach einer Krebsoperation die Brust wiederaufzubauen.

Dennoch streiten Ärzte, Gesundheitsbehörden und Pharmakonzerne bis heute erbittert darüber, ob Silikonimplantate nun gefährlich oder völlig harmlos sind. Denn hier geht es um viel Geld. Nicht nur die Hersteller, ganze Kliniken leben vom Schönheitswahn – weshalb die meisten kosmetischen Chirurgen von Nebenwirkungen des Silikons nichts wissen wollen und „vorsätzlich die Unwahrheit sagen“. Dieser geharnischte Vorwurf stammt von Hans Rudolph, dem Präsidenten der Deutschen Gesellschaft für Plastische und Wiederherstellungschirurgie. Für Rudolph ist es unbestreitbar, daß die Kunststoffkissen zumindest „im dringenden Verdacht stehen, Autoimmunkrankheiten auszulösen“. Vor allem die oft tödlich endende Sklerodermie, in deren Verlauf die Haut wachsartig verhärtet und auch die inneren Organe ihre Elastizität verlieren, könnte auf das Konto der Implantate gehen. Die Palette der Gesundheitsschäden, die ihnen angelastet wird, ist jedoch noch sehr viel breiter. Sie reicht von Erschöpfung über Kopf- und Muskelschmerzen bis hin zu Krebs.

Die Medizin kann auf die umstrittenen Kunststoffsäckchen nicht völlig verzichten. Darauf verweist auch Rudolph. Es gibt kein Produkt, das sie ersetzen könnte, und es gibt Krankheiten und Verletzungen, bei denen sie aus medizinischen Gründen unentbehrlich sind. Am häufigsten werden Silikonimplantate nach einer Brustkrebsoperation verwendet. Oft kann der Arzt auch bei einem kaputten Knie oder bei rheumatisch zerstörten Gelenken nicht auf die Prothese verzichten.

Um eine Patientin oder einen Patienten trotz Implantat vor weiteren Schäden zu bewahren, hilft nach Rudolphs Überzeugung nur: „Kontrolle, Kontrolle und Kontrolle“. Und sobald entsprechende Komplikationen entdeckt werden, „muß das Silikonkissen raus“. Allen, die ihr Implantat länger als zehn Jahre im Körper tragen, rät Rudolph dringend zur Untersuchung durch einen Experten. Eventuell muß es erneuert werden. Denn Ähnlich wie ein Fahrradschlauch kann die Ummantelung eines Silikonkissens brüchig werden, und freigesetztes Silikon gilt als besonders gefährlich.

Nachdem die ersten Vorwürfe bekannt wurden, prasselten die Schadenersatzklagen wie Dauerregen auf die Hersteller von Silikonimplantaten nieder. 1991 endete ein Musterprozeß mit einem Vergleich. DCC, Marktführerin in den USA, aber auch in Deutschland, zahlte gemeinsam mit drei anderen Implantatherstellern 4,3 Milliarden Dollar in einen Entschädigungsfonds ein. Doch nachdem mehr als 400.000 Frauen Ansprüche anmeldeten, erklärte der zuständige Richter diese Globalabfindung für nichtig. Die Entschädigungen wären sonst äußerst niedrig ausgefallen.

Die betroffenen Frauen klagten nun einzeln gegen DCC. „Und um die Pleite abzuwenden“, habe sich DCC unter die Obhut eines US- Gerichts begeben, urteilt Tschöpe vom Berliner Arzneimittelinstitut. Dafür hat DCC ein „Schutzverfahren“ nach dem US-Konkursrecht beantragt. Nun will man ein für alle Mal klären, wieviel DCC weltweit an Schadenersatz zahlen muß. Deshalb hat das zuständige Gericht beschlossen, daß alle eventuell Geschädigten ihre Ansprüche gegen DCC bis spätestens 14. Februar 1997 geltend machen müssen. Und um alle Betroffenen über das Verfahren zu informieren, hat das Gericht die verwirrende Anzeigenkampagne angeordnet. Allerdings glauben weder Tschöpe noch der Justitiar des Bundesverbandes der Allgemeinen Ortskrankenkassen, daß PatientInnen aus Deutschland große Chancen auf eine Entschädigung haben. Dennoch empfiehlt Kritiker Rudolph, daß man seine Ansprüche geltend machen sollte.

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