Markus Wolf kämpft um sein Ansehen

Gereizte Stimmung beim Prozeßauftakt. Früherer DDR-Spionagechef wirft der Bundesanwaltschaft vor, ihn „kriminalisieren“ zu wollen. Verteidigung spricht von „Täuschung“ durch Ankläger  ■ Von Walter Jakobs

Düsseldorf(taz) – Als Bundesanwalt Joachim Lampe im fensterlosen Saal des Düsseldorfer Oberlandesgerichtes zur Verlesung der Anklage ansetzt, da wendet sich der, im feinen Tuch gewandete, Angeklagte demonstrativ ab. Sein Blick wandert zu den Zuschauerbänken, wo neben zahllosen Journalisten auch seine Frau, der jüngste Sohn und Freunde Platz genommen haben. Das freundliche Lächeln ist längst aus dem Gesicht von Markus Wolf gewichen. Auch die Mienen der beiden Verteidiger Johann Schwenn und Wolf Römmig verfinstern sich. Zwischen beiden Parteien herrscht eine eisige Atmosphäre. Schon nach wenigen Minuten nutzt Schwenn eine kurze Vortragsunterbrechung der Bundesanwaltschaft für eine erste Attacke. Er bezichtigt Lampe der „Täuschung“ und hält ihm vor, die Rechtsauffassung des Bundesverfassungsgerichtes und des Revisiongerichtes mißbräuchlich wiedergegeben zu haben.

Tatsächlich merkt man Lampe an, wie sehr ihn die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes vom Mai 1995 wurmt. Damals hatte das oberste deutsche Gericht entschieden, daß die Verantwortlichen des DDR-Spionagedienstes nicht bestraft werden dürfen, soweit sie nur vom Boden der damaligen DDR aus ihren Spionagejob betrieben. Damit war die von Lampe im ersten Wolf-Prozeß erstrittene Verurteilung zu sechs Jahren Haft wegen Landesverrats hinfällig! Der Bundesgerichtshof hob das am 6. Dezember 1993 vom 4. Senat des Düsseldorfer Oberlandesgerichts gefällte Urteil Ende 1995 auf. Nun steigt vor dem 7. Senat die zweite Runde. Aus Sicht von Wolf handelt es sich dabei um den Versuch der Bundesanwaltschaft, das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes mit neuen Anklagepunkten „durch die Hintertür zu unterlaufen“. Man versuche ihn nun „als ordinären Kriminellen hinzustellen“.

Zu den drei nachgeschobenen Anklagepunkten zählt der Fall Walter Thräne. Der frühere MfS- Hauptmann war am 11. Augugst 1962 mit seiner Geliebten in den Westen geflohen. Ein paar Wochen später wurde das Paar von früheren MfS-Genossen über Östereich nach Ost-Berlin gewaltsam zurückgeholt. Lampe wirft Wolf vor, er habe als damaliger Leiter des Ost-Berliner Spionagedienstes auf „diese Aktion“ immer dann „Einfluß genommen, wo es einer Leitungsentscheidung bedurfte“. Wolf bestreitet diese. Die Anordnung, den „Fahnenflüchtigen“ festzunehmen, sei nicht von ihm, sondern vom MfS-Chef Erich Mielke ergangen. Er selbst, räumte Wolf gestern erstmals ein, habe nur den Auftrag erhalten, einem von Mielke für diese Operation ausgewählten HVA-Oberst „jede erforderliche Unterstützung zu gewähren“. Die Behauptung, bei ihm habe die Verantwortung für die„Rückführung“ gelegen, sei „falsch“.

Daß dieser Fall überhaupt in die Anklage aufgenommen wurde, wertet Wolf als den neuerlichen Versuch der Bundesanwaltschaft, „mir Blut an die Hände zu kleben“. Schon im ersten Prozeß habe Lampe ein „Killerkommando strapaziert, allerdings ohne Tote“. Im Fall Thräne müsse „nun wenigstens ein ,Schlägertrupp‘ her“, um ihm, wie die Bundesanwaltschaft es formuliert, nachzuweisen, „vorsätzlich die Gesundheit eines Menschen geschädigt und ihn körperlich mißhandelt zu haben“. Für Lampe weist der Entführungsfall Thräne/Schöne dagegen die „typischen, stalinistischen Verhaltensweisen“ auf. Thräne saß zehn Jahre und fünf Monate im Stasi- Knast, seine Freundin drei Jahre und vier Monate.

Neu aufgerollt wird nun auch der Fall Angerer. Die Bundesanwaltschaft wirft Wolf vor, mit Hilfe des Schriftsetzers Georg Angermann versucht zu haben, Willy Brandt als Gestapo-Gehilfen zu diffamieren. Angerer kannte Brandt aus der gemeinsamen Zeit in der norwegischen Emigration. Um ihn als Kronzeugen gegen Brandt „gefügig zu machen“, so Oberstaatsanwalt Wolfgang Siegmund gestern, habe Wolf Angerer in Haft setzen lassen. Ein von Wolf unterzeichneter Haftbeschluß liegt vor. Wolf bezeichnete Angerer, der laut Bundesanwaltschaft während des Krieges in Norwegen von der Gestapo als Dolmetscher eingesetzt worden war, gestern als „Gestaposcherge“. Seine Verteidigung werde im Laufe des Verfahrens beweisen, daß die gegen Angerer vorgebrachten Beschuldigungen „sehr wohl begründet waren“.

Als geradezu läppisch im internationalen Spionagekrieg charakterisierte Wolf den dritten Anklagevorwurf. Hier geht es um den gescheiterten Anwerbeversuch der Sekretärin Christa Trapp, die in den 50er Jahren beim amerikanischen Hohen Kommmissar in Berlin arbeitete. Sie wurde für Stunden nach Ost-Berlin entführt, um sie dort als Mitarbeiterin zu rekrutieren. Zum Schein willigte sie ein, um sich dann sofort im Westen zu offenbaren.

Frau Trapp habe „sicher bange Stunden durchlebt“, sagte Wolf gestern, aber er könne in der Aktion „nichts erkennen, was nicht von jedem Nachrichtendienst in West und Ost in mannigfaltigen Variationen praktiziert wurde und weiter praktiziert wird“. Er könne eine beliebige Zahl von Fällen belegen, wie bundesdeutsche Nachrichtendienste „DDR-Bürger in Fallen“ gelockt und „unter Druck“ versucht hätten, sie für eine Zusammenarbeit gegen die DDR zu gewinnen.

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