piwik no script img

Die Post-Feministinnen

Das Fräulein von der Post oder wie Vater Staat und Mutter Fürsorge nicht zueinanderfanden. Eine historische Studie, rezensiert  ■ von Gabriele Kämper

Sie wurden als „süße Klingelfee“ besungen. Sie galten als exemplarisch für die moderne Frau der 20er Jahre. Sie mußten sich „Gehilfinnen“ nennen lassen, obwohl sie die einzigen Fachkräfte für den Telefonvermittlungsdienst waren. Sie waren die Arbeitskraftreserve der Deutschen Post, die man sich mit Hilfe des Zwangszölibats jung, billig und flexibel hielt. Die Postgehilfinnen, die seit Ende des letzten Jahrhunderts auf die Arbeitsplätze des größten staatlichen Arbeitgebers für Frauen drängten, waren dort zu etwa 90 Prozent als Telefonistinnen beschäftigt. Eine Untersuchung ihrer Geschichte von 1864 bis 1945 hat jetzt Ursula Nienhaus in einer Studie unter dem Titel „Vater Staat und seine Gehilfinnen. Die Politik mit der Frauenarbeit bei der Deutschen Post“ vorgelegt.

Die Historikerin geht der Frage nach, wie der Arbeitgeber Post als moderner Großbetrieb die Erwerbsarbeit von Frauen nutzte und ausnutzte. Daß dem „Vater Staat ... die Mutter Fürsorge“ zugesellt werden müsse, war eine frühe Forderung der Frauenbewegung. Nienhaus aber zeigt, daß es mit der Fürsorge in bezug auf die Frauen nicht weit her war.

Der Mann wird vom Staat versorgt...

Damals wurden die Fundamente eines Sozialversicherungssystems gelegt, dessen aktuelle Krise auf diese historischen Konstruktionsmängel verweist: unzureichende Entlohnung von Frauen, unzureichende soziale Absicherung, Diskriminierung aufgrund von Familienarbeit, kaum Aufstiegschancen, katastrophale Altersversorgung. Der Mann wird von Betrieb und Staat versorgt, die Frau vom Mann. Leitbild dieses Modells ist die Ernährerehe, Instrument seiner Umsetzung das Zwangszölibat, heutzutage erfolgreich ersetzt durch Teilzeit und Erziehungsurlaub.

...Erwerbsarbeit von Frauen ist die Ausnahme

Nienhaus startet einen Streifzug durch 80 Jahre, der so manches Déjà-vu bewirkt, geht es nun um das Prinzip der Ernährerehe oder die Doppelverdienerdebatten, die Karriereängste von Männern oder die Spargelüste der Arbeitgeber. Der Wunsch vieler männlicher Postler, die Frauen wieder herauszudrängen, wurde nie ganz erfüllt. Aber die Anstrengungen der Post, die Arbeit der Frauen möglichst ungeschützt und billig haben zu wollen und den Männern keinerlei Konkurrenz erwachsen zu lassen, waren beträchtlich.

Ob Kaiserreich, Weimarer Republik oder Nationalsozialismus: Die Merkmale weiblicher Beschäftigung bei der Post blieben erhalten. Die Erwerbsarbeit von Frauen stellte immer eine zu rechtfertigende Ausnahme dar. Sie wurde in der Regel damit begründet, daß Männer zu ersetzen waren, vor allem in Kriegszeiten. Die Anstellungsbedingungen waren wesentlich schlechter als bei Männern: Frauen verdienten weniger, sie waren nicht zu Aufstiegsprüfungen zugelassen, eine Altersversorgung wurde ihnen nicht in Aussicht gestellt. Drittes gemeinsames Merkmal waren die Qualifikationen, die von den Frauen gefordert, als quasi natürliche weibliche Eigenschaften aber nicht entlohnt wurden: Sprachkenntnisse, gute Auffassungsgabe, gute Umgangsformen, umfassende Flexibilität.

Auch die Angst der Männer vor unliebsamer Konkurrenz ist in der Post-Geschichte stets spürbar. Die Autorin weist nach, wie den Männern bei der Post der Vorrang für alle Positionen zugesprochen wurde. Dieses rhetorische Primat blieb über Jahrzehnte vorherrschend und wurde auch von Frauen kaum in Frage gestellt. Nur das starke Interesse der Post an den tüchtigen, flexiblen und billigen weiblichen Arbeitskräften vermochte dieses Prinzip immer wieder auszuhebeln.

Zwangszölibat als Arbeitsmarktregulator

Die Attraktivität der weiblichen Arbeitskraft lag in ihrer außerordentlichen Kostengünstigkeit. Frauen verdienten weniger, sie hatten weniger bis gar keine Ansprüche auf Altersversorgung, und vor allem hatten sie kein Anrecht auf einen dauerhaften Arbeitsplatz. Ihre kurze Berufsverweildauer wurde auch durch das automatische Ausscheiden aus dem Dienst nach einer Heirat erzwungen. Mit Hilfe dieses Zwangszölibats war garantiert, daß die meisten Frauen nach wenigen Jahren aus dem Dienst verschwanden. Allerdings wurden manche verheiratete Frauen immer wieder mal als Aushilfen eingestellt. So war jede einzelne Frau in der Regel nur einige Jahre berufstätig, größere Aufstiegserwartungen entwickelten sich erst gar nicht. Jüngere Frauen verdienten noch weniger als ältere, und sie waren weniger widerstandsfähig.

Dieses Instrument der Flexibilisierung von Frauenbeschäftigung wurde mit der Zeit allerdings stumpfer. Zum einen gab es im Laufe der Jahre immer mehr Frauen, die nicht heirateten und also im Dienst verblieben. Zum anderen wurde in der Verfassung der Weimarer Republik die Gleichberechtigung von Frauen festgeschrieben, und damit explizit auch die Unzulässigkeit des Zwangszölibats. Die Autorin zeichnet minutiös den Eiertanz der Politiker nach, die das Zwangszölibat trotz seiner Verfassungsfeindlichkeit zu retten versuchten. 1929 galt es schließlich nicht nur de facto, sondern auch de jure wieder. Die Nationalsozialisten brauchten nur noch ideologisch nachzurüsten. Dennoch gelang einigen wenigen besonders eifernden Nationalsozialistinnen ein bis dahin nicht möglicher beruflicher Aufstieg bei der Post.

Bürgerliche Gesinnung contra Profit

Nienhaus' zentrale These: Der Widerspruch zwischen der bürgerlichen Vorstellung vom Hausfrauendasein und der Gier nach billigen Arbeitskräften wird von der Post mit betriebswirtschaftlichem Kalkül auf Kosten der Frauen gelöst. Die Sorgen der Beamten um ihre Stellen und Privilegien bestimmten das Feld der Auseinandersetzung, etwa zu Zeiten der Demobilisierung nach dem Ersten Weltkrieg oder in der Weltwirtschaftskrise. Waren die Sozialdemokraten der Meinung, man könne den aufgebrachten Beamten nicht auch noch weibliche Konkurrenz zumuten, so fürchteten die Konservativen um die natürliche Eheordnung.

Die Autorin entwirft die Geschichte der Postangestellten als spannendes Interaktionsfeld, in dem die Frauen schon früh begonnen haben, ihre Interessen zu vertreten. In eigenen Verbänden führten die Postlerinnen einen intensiven Kampf für bessere Arbeitsbedingungen, bessere Entlohnung, schnellere Verbeamtung und bessere Aufstiegschancen.

Als Ergebnis dieser Bemühungen wurde 1919 eine Art erste Frauenbeauftragte bei der Post berufen, eine Funktion, die von Margarete Kinnsberger bis zu ihrer Absetzung durch die Nazis wahrgenommen wurde.

Die Post-Feministinnen organisieren sich

Zu dieser Zeit hatte sich der Verband der Deutschen Reichs-, Post- und Telegrafenbeamtinnen bereits als moderne Fachorganisation gemausert, die sich selbstbewußt als Teil der Frauenbewegung verstand und jede Diskriminierung entlang der Geschlechterlinien bekämpfte. Trotz ihrer Verortung in der Frauenbewegung war die Arbeit der Organisation jedoch von einer grundlegenden Ambivalenz geprägt. So kämpfte man einerseits für die freie Berufswahl auch für verheiratete Frauen. Gleichzeitig verstand man sich aber im konservativen Sinne als standespolitische Vereinigung, die größten Wert auf Reputation, Sitte und Moral legte. Durch die Logik des Zwangszölibats bestimmt, trat der Verband in erster Linie für die Interessen seiner unverheirateten Mitglieder ein, ohne daß die Institution der bürgerlichen Ehe in Frage gestellt wurde.

Ursula Nienhaus ist ein Stück Geschichtsschreibung über die staatliche Steuerung weiblicher Erwerbstätigkeit und deren Verknüpfung mit staatlicher Sozialpolitik gelungen. Dieses beispielhafte Durchbuchstabieren ist für die Leserinnen und Leser nicht nur außerordentlich spannend, sondern mag auch zum Verständnis und zur Bewertung aktueller Sozialstaatsdebatten einiges beitragen. Erwerbsarbeit als soziale Sicherung und daraus folgend soziale Versicherung aus Erwerbsarbeit abgeleitet – auf diesem Modell basieren die Sozialversicherungssysteme. Darin ist das Prinzip der Ernährerehe und damit die Ungleichheit der Geschlechter tief eingeschrieben.

Erstaunlich ist, wie wenig dieses Prinzip in den verschiedenen Staatsformen variiert wird. Doch dieses Prinzip kollidiert zunehmend mit den realen und geforderten Lebensentwürfen von Frauen. Das zähe Festhalten der ostdeutschen Frauen an ihrer „Erwerbsneigung“ ist hierfür nur ein deutliches Zeichen.

Ursula Nienhaus: „Vater Staat und seine Gehilfinnen. Die Politik mit der Frauenarbeit bei der Deutschen Post.“ Reihe „Politik und Geschlecht“, Campus Verlag, Frankfurt am Main, 1996

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen