Wir lassen glotzen: Zurück in die Zeit der langen Nächte
■ Die berühmtesten Boxer des Jahrhunderts erscheinen in einer umfangreichen Videokollektion
Kein feierlicher Einmarsch der Gladiatoren, keine schwülstige Hymne, kein überkandidelter Ringsprecher, nichts von all dem Brimborium, das hierzulande inzwischen zu jedem Boxkampf gehört wie Leberhaken und Fehlurteil. Statt dessen ein kurzer Vorspann, Gong, und schon fliegen die Fäuste. Die Videoserie „Box- Champions“ von Marshall Cavendish setzt auf Boxen pur – so wie es die eingefleischten Fans dieses ebenso schlagkräftigen wie anrüchigen Sports bevorzugen.
In 36 Videos werden die größten Meister des Ringgevierts mit ihren zwei oder drei besten Kämpfen präsentiert, und zwar in voller Länge. Max Schmeling ist in seinen beiden Treffen mit Joe Louis zu sehen, Joe Frazier bei seinem New Yorker Sieg gegen Muhammad Ali und beim legendären „Thrilla in Manila“ gegen denselben Gegner. Jack Dempsey kann man gegen Jess Willard und Georges Carpentier bewundern, Gene Tunney wiederum gegen Jack Dempsey. George Foreman, Mike Tyson, Larry Holmes. Jack Johnson, Joe Louis, Floyd Patterson, Rocky Marciano – kein großer Schwergewichtler, dem nicht eine Folge gewidmet wäre. Aber auch leichtere Meister der Faust wie Sugar Ray Robinson, Roberto Duran, Jake La Motta, Sugar Ray Leonard oder Thomas Hearns tauchen auf, und für den deutschen Markt wurden neben Schmeling sogar Henry Maske, Axel Schulz und Graciano Rocchigiani hinzugefügt.
Die erste Kassette aber, die soeben erschienen und volksfreundlich an Zeitungskiosken zu erwerben ist, kann natürlich keinem anderen als Muhammad Ali gewidmet sein. Tatsächlich enthält sie, trotz der monströsen Fights mit Joe Frazier, seine beiden bedeutendsten Kämpfe: den „Rumble in the Jungle“ gegen George Foreman 1974 , als er in Zaire zum zweitenmal Weltmeister wurde, und den Auftritt eines gewissen Cassius Clay gegen Champ Sonny Liston zehn Jahre zuvor, bei dem unglücklicherweise eine wichtige Runde fehlt. Vor allem der Foreman-Kampf, in voller Länge betrachtet, läßt Erinnerungen an ziemlich lange Nächte nicht nur wach, sondern auch fragwürdig werden. Gängige Vorstellungen von einem Ali, der sich die meiste Zeit verprügeln ließ, erst am Schluß aufdrehte und völlig überraschend das Blatt wendete, kann man jedenfalls getrost vergessen. Besonders hübsch, wie sich ein zähnefletschender Don King nach dem Kampf an Ali heranmacht und sogleich beleidigt ist, weil dieser ihn nicht beachtet.
Gleichzeitig wird ein Mangel der deutschen Version der Serie deutlich, welcher dem Faktor zuzuschreiben ist, daß das DSF die Sache präsentiert: Hans-Joachim Rauschenbach darf kommentieren. Und er nervt. Er redet zuviel, aber im Gegensatz zum leise im Hintergrund hörbaren englischen Kommentator, der auch zuviel redet, befaßt er sich weniger mit dem Kampfgeschehen, sondern erzählt jede Menge Nebensächlichkeiten oder Fakten, die viel besser im ausführlichen Begleitheft nachzulesen sind. Anstatt die Chance eines Ex-Post-Kommentators zu nutzen, spätere Aussagen der Boxer oder anderer Beteiligter zu verschiedenen Phasen des Kampfes oder kluge Analysen von Fachleuten zu referieren, quatscht er einfach drauflos und versucht phasenweise sogar, den Eindruck eines Livekommentars zu erwecken. Das geht natürlich daneben. Am kläglichsten, wenn er am Ende des Fights in Kinshasa plötzlich aufgeregt „Die Rechte, die Rechte!“ brüllt, so als habe er noch nie gehört, daß Ali diesen Kampf gegen Foreman gewonnen hat.
Doch das ist leider ein Handicap, welches der hiesige Konsument in Kauf nehmen muß. Er mag sich darüber mit dem erschwinglichen Preis der verdienstvollen Videokollektion hinwegtrösten. Eine Folge kostet 18,90 Mark, die Nummer 1 mit Muhammad Ali ist sogar für fünf Mark zu haben. Matti Lieske
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