■ Nachschlag
: Glubschig-starre Sehnsucht: Weber und Schuster im Ex'n'Pop

Wenn wißbegierige jüngere Freunde wissen wollen, wie's in den achtziger Jahren im alten West-Berlin war, nimmt man sie an die Hand und geht mit ihnen ins Schöneberger „Ex'n'Pop“. Bestellt ein Bier, stellt sich an den Flipperautomaten oder kickert und beginnt zu erzählen: vom wilden Dichter Harry Hass, der früher mal als bester Barkeeper der Welt hinter dem Tresen der legendären Undergroundkneipe stand und Vormittags, nach der Arbeit an Romanen feilte; von Nick Cave, der ab und an vorbeikam; von Françoise Cactus, Alexander Hacke, von schönen Frauen und stets schwarzgekleideten, blassen Männern mit dunklen Ringen unter den Augen wg. existentialistischer Rauschgiftbenutzung. Mitte der Achtziger hätte sich das „Ex'n'Pop“ zum „Kumpelnest“ verhalten wie der „Tresor“ Anfang der Neunziger zum „WMF“, sagt man dann etwa, um hernach entscheidende subkulturelle Unterschiede herauszuarbeiten, bis niemand mehr zuhört.

Seinen rohen Wohnzimmercharme hat sich das „Ex'n'Pop“ bewahrt wie keine andere „location“ in West-Berlin. Dies und das hat sich verändert: das „Ex'n'Pop“ hat inzwischen zum Beispiel eine Suppenküche. Wenn's minus 5 Grad ist, kostet die Suppe 1,50, wenn's unter minus 10 Grad ist, ist alles umsonst. Auch schauen die Gäste nicht mehr bedeutungsvoll schweigend in der Gegend umher, sondern sprechen miteinander, der DJ, wie man den Diskotheker auch hier nennt, legt Jungle auf und wird erst später zu den alten Jesus-&- Mary-Chain-Platten greifen, und am Eingang stehen zwei Männer. Das sind Weber und Schuster.

Schuster ist kräftig und hat eine schwarze Brille, Weber ist eher schmal und trägt einen quergestreiften Pulli. Auf der Bühne schlägt der eine auf seine Trommel ein, während der andere Akkordeon spielt und ab und an glubschig-starren Blicks volltönig seltsame Sachen singt, die von weitem mal an Arbeiterlieder, mal an die Genialen Dilettanten erinnern. „Immer im Herbst überkommt uns die große Sehnsucht und hat uns bis jetzt noch nicht verlassen“, singen die beiden oder „diese Scheißfabrik – ich mochte sie nicht“ oder „mein geistiges Niveau erschreckte mich so, daß ich floh“.

Klingt aufgeschrieben schrecklich, ist aber schön wie die Liebe der Matrosen oder die kleinen gemalten Filme, die die beiden gebürtigen Ochsenfurter zwischen ihre Lieder und Texte schieben. Und wird immer schöner, je später der Abend; und nachdenkenswerter, weil das alles so unglaublich heterogen, neben- und gegeneinander steht und Weber und Schuster sich jeder Ironie verweigern. Denn Ironie ist mittlerweile nur noch eine betulich-harmonisierende Selbstzufriedenheitsfigur. In der vordergründigen Blödheit ihrer Texte – „Wir sind undichte Dichter, und nur der Druck drückt die Worte aus uns raus – der Existenzdruck!“ – artikulieren sich die als blöd empfundenen Authentizitätsgefühle der Westberliner Bohemegegenwart, könnte man vielleicht sagen. Detlef Kuhlbrodt

Filme, Gesang, gesprochene Dichtung, Akkordeon, Trommel mit Weber und Schuster noch bis zum 12.1. im Ex'n'Pop, Mansteinstraße, jeweils 21 Uhr