■ Steuerhinterziehung nutzt allen
: Erste Bürgerpflicht

Das feierlich-tadelnde Gesicht unserer Entscheidungsträger ist sattsam bekannt: Wenn alle ihren „Verpflichtungen“ gegenüber dem Staat nachkommen würden, sprich, ihre Steuern ehrlich und dem Paragraphen nach abführen, bräuchte es weder Sparmaßnahmen im Sozial- und Rentenbereich noch neue Steuern, Zuschläge und Abgaben. Gut ein Fünftel des Obulus, der nach Meinung des Fiskus ihm zusteht, wird von fiesen Bürgern unterschlagen und, so die Mutmaßung, heimlich verpraßt oder halbseiden angelegt. Der Steuerbetrüger vergehe sich an der Gemeinschaft, er verwehre dem ach so sozialgeneigten Staat, seinen Aufgaben getreulich nachzukommen.

Doch wo stünden wir, wenn alle tatsächlich die geforderten Steuern zahlen würden? Kein Drandenken, daß das Geld etwa für Rentenerhöhungen, Arbeitslosenhilfen oder im Gesundheitswesen benützt würde. Viel wahrscheinlicher, daß gerade den Politikern mit ihrer Praßsucht immer Neues einfallen würde, um das Geld auf den Kopf zu hauen. Nein, gerade die schlechte Steuermoral hat uns vor manchem Unding bewahrt. Der Euro-Jäger mußte zumindest verschoben und dann erheblich abgespeckt werden, in den Hauptstädten der europäischen Gemeinschaft werden reihenweise Protzbautenpläne begraben, Autobahnpläne werden storniert, und selbst die Geheimdienste müssen inzwischen auf Sparflamme spionieren.

Dazu kommt aber noch ein weiteres: Ganze Volkswirtschaften würden zusammenkrachen, wollten die Bürger wirklich die geforderten Steuern zahlen. Der so oft geschmähte „schwarze“ oder auch „graue“ Markt erhält viele Bereiche der Volkswirtschaft überhaupt am Leben. Der Mittelstand, die Unterschichten etwa in Italien, Griechenland, Portugal würden nicht überleben, müßten sie wirklich alle Steuern und Abgaben bezahlen, die man ihnen zumutet. Und umgekehrt würden – auch in fortgeschritteneren Ländern – viele Preise explodieren, würden die Produzenten alles der Regel nach abführen.

Richtig kriminell wird Steuerhinterziehung allerdings dort, wo eingesparte Steuern ins Ausland transferiert und dort nur gebunkert werden. Der Schaden beschränkt sich hier nicht nur auf den Entzug von Geldern für die Gemeinschaft. Hier entstehen Berge schmutziger Gelder, die aller Erfahrung nach zu spekulativen Zwecken verwendet werden und dabei nicht selten die internationalen oder nationalen Finanzmärkte kräftig beuteln. Hier gegenzusteuern ist wesentlich wichtiger, als die Steuerfahndung zum Handwerksmeisterlein oder nebentätigen Physikprofessor zu schicken. Alberto Trombone

Der Autor ist Steuerberater in einer römischen Kanzlei