: Steuerhinterzieher mit staatlichem Heiligenschein
■ Irland amnestiert Steuersünder und lockt damit Schwarzgeld zurück auf die Insel
Die irische Regierung ist zufrieden. Die Wirtschaft boomt wie in keinem anderen Land der Europäischen Union, die Steuereinnahmen haben alle Erwartungen übertroffen. Plötzlich sind umgerechnet 750 Millionen Mark mehr im Staatssäckel als erwartet – eine Mehreinnahme von elf Prozent. Hinzu kommt der verspätete Zugriff auf illegal angehäufte Vermögen: Seit dem Auftragsmord an der Journalistin Veronica Guerin im vorigen Juni ist man der Dubliner Drogenmafia, wo die Hintermänner vermutet werden, mit Hilfe des Steuerrechts zu Leibe gerückt. Einem der Hauptverdächtigen, der zur Zeit in London in Untersuchungshaft sitzt, wurde das Gestüt samt Herrenhaus in der Nähe der irischen Hauptstadt weggenommen, weil die Ehefrau nicht überzeugend darlegen konnte, wie man sich die Anschaffung von der Sozialhilfe abgespart hatte.
Dank der unverhofft hohen Steuereinnahmen freut sich die Regierung, die aufgrund zahlreicher Affären erheblich an Popularität eingebüßt hat, den WählerInnen ein Geschenk machen zu können: Im neuen Haushaltsplan, den Finanzminister Ruairi Quinn in zwölf Tagen enthüllt, werden die Einkommensteuer gesenkt und Steuerfreibeträge erhöht. Schließlich stehen demnächst die Parlamentswahlen an, und mit Steuerermäßigungen kann man stets ein paar Punkte machen.
Die Opposition hat das vorexerziert, als sie noch an der Macht war. Weil Ende der achtziger Jahre jedoch kein Wirtschaftsboom in Sicht war, mußte man die Wahlgeschenke anderweitig finanzieren: mit einer Steueramnestie. Wer die Finanzbehörden bis dahin übers Ohr gehauen hatte, konnte sich durch eine Nachzahlung die Absolution erkaufen. Fragen wurden nicht gestellt. Die Regierung rechnete mit umgerechnet rund 75 Millionen Mark, hatte jedoch die kriminelle Energie der IrInnen maßlos überschätzt: Innerhalb kürzester Zeit trudelten 1,25 Milliarden Mark ein.
Tag für Tag trafen braune Papierumschläge ohne Absender ein, die bis zu 20.000 Pfund in bar enthielten. Sinn der Übung: Die Absender hatten jahrelang Steuern hinterzogen – und wollten das auch weiterhin tun. Die Gelegenheit, sich wenigstens bis zum Stichtag eine reine Weste zu verschaffen, war jedoch reizvoll. So sandten sie das Geld anonym ein, notierten aber die Seriennummern und fotokopierten die Umschläge, damit sie ihre Unschuld beweisen konnten, falls sie irgendwann geschnappt würden. Das war nicht ungefährlich, weil sie auf die Ehrlichkeit der Steuerbeamten angewiesen waren. Die wurden allerdings streng kontrolliert: Ein Abteilungsleiter erzählte damals, daß die Kollegen an einen runden Tisch saßen und jeden Tag acht Stunden lang Briefe öffneten. Sobald jemand einen Geldschein erspähte, mußte er beide Arme – und den Umschlag – in die Luft strecken, bis zwei höherrangige Beamte kamen und die Beute zählten.
Weil es damals so gut geklappt hat, wollte man die Geldquelle 1993 erneut anzapfen. Schließlich gab es noch genügend Gangster, die ihren Profit vorbei an der Steuer ins Ausland geschafft hatten. Um dieses Schwarzgeld wieder auf die Grüne Insel zu locken, räumte man den Besitzern Sonderkonditionen ein: Während Otto Normalverbraucher für sein Mindesteinkommen 27 Prozent Steuern berappen mußte, versprach man den Steuerhinterziehern eine einheitliche Rate von 15 Prozent – keine Zinsen, keine Geldbußen.
Der damalige Premierminister Albert Reynolds, ein ehemaliger Country-Sänger und heutiger Katzenfutterfabrikant, prophezeite, die Steueramnestie würde versteckte Milliardenbeträge nach Irland zurückführen. Er behielt recht. Seine Kollegen erinnerten ihn außerdem daran, daß es auch Steuerhinterzieher gebe, die ihre Profite unter falschem Namen auf irischen Konten lagerten. Reynolds reagierte umgehend: Auch sie kamen nach Bezahlung in den Genuß des staatlichen Heiligenscheins. Ralf Sotschek, Dublin
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen