: Die Kinder von Mao und Coca-Cola
■ Eine Studie über den Langen Marsch des Rock 'n' Roll in der Volksrepublik China
„Rockmusik – das ist unser Langer Marsch“, sagte Cui Jian, Chinas erster Megarockstar, 1992 in einem Interview mit der BBC. Er steht nicht allein da mit seiner Einschätzung. Auch Wu Er Kai Xi zufolge, einem der studentischen Führer der Friedensbewegung 1989, hat die chinesische Rockmusik die Ideen der Studenten mehr geprägt als die Demokratietheorien der älteren Intellektuellen. Zu der Protestbewegung gehörten Breakdance, Rock wie auch freiere Formen der Sexualität; tagsüber wurden politische Parolen gerufen, abends zu den Klängen eines Cui Jian getanzt.
Rockmusik hat in China eine noch kürzere Tradition als anderswo. Erst Mitte der Achtziger traten ausländische Gruppen wie Wham! dort auf. BAP tourten 1987 durch China. 1986 sang Cui Jian einen der ersten Rocksongs Chinas, ein Kultstück – „Yi Wui sou you“ („Ich habe nichts“): „Mein Sehnen will ich dir geben und auch meine Freiheit, doch du lachst mich nur aus dafür, daß ich rein gar nichts habe.“ Andreas Steen analysiert in seiner wissenschaftlichen Untersuchung zur Situation von Pop und Rock in der Volksrepublik detailreich den Aufstieg „westlicher“ Modelle während der Reform- und Öffnungspolitik der achtziger Jahre. Die vielen Bands mit Namen wie Baby Brothers, Huxi (Atem), Tang-Dynasty, Hei Bao (Panther) nebst der Frauenrockband Cobra bildeten von Anfang an ein Patchwork der Stile – von Softrock bis Heavy Metal.
Auch für ironische Anspielungen war Rock das Medium. „Rock 'n' Roll auf dem neuen Langen Marsch“ hieß Cui Jians erste Hit-LP des Landes mit Bezug auf den legendären Langen Marsch der KP Chinas: „Was soll ich sagen, was soll ich tun, um wirklich ich selbst zu sein? / Was soll ich singen, damit mein Herz zufrieden ist? / Beim Gehen denke ich: Schneeberge und Grasebenen. / Beim Gehen singe ich: Unser Führer, Vorsitzender Mao.“
Konkurrenz für Chinarock kommt aus Taiwan und Hongkong. Nur wer jung ist und bereits halb mit der Tradition gebrochen hat, kommt als Konsument in Frage, und davon auch nicht jeder – Rock in China ist ein Großstadtphänomen. Ansonsten zeichnen sich die klassischen Konfliktlinien ab: gegen das Gestern, gegen die „alten Männer“ in der Partei. Viele der analysierten Rocktexte haben antiautoritäre Botschaften, manche starke politische Bezüge. Dazwischen Melancholie und auch nationalistische Töne.
Hintergrund solcher „Selbstverwirklichung“ sind Steen zufolge neue Musiktechnologien – Kassettenrecorder, Walkman, später Videos (Karaoke-Bars in China!) – und ein Wandel der Öffentlichkeit: Junge Musiker konnten, wenn auch beschränkt, in Discos, Clubs, Hotels und hie und da auch in großen Sälen und Stadien auftreten. Verknüpft war diese Entwicklung mit einer chinesischen Variante von Autorenrock: Anders, als die Tradition es vorsieht, trugen Sänger und Bands ihre eigenen Texte auf der Bühne vor – ein direkter Kontakt zwischen Künstlern und Publikum stellte sich her.
Der chinesische Markt für Rock erstreckt sich seit 1989 – auch dank MTV – auf ganz Asien. Die heroische Zeit des Rock allerdings scheint damit vorbei – die Szene ist kommerzialisiert und professionalisiert. Kassetten und CDs sind überall zu kaufen, Rockhits gehören zum Programm der Karaoke- Bars. Chinas Rockmusiker sind auch mit den Schattenseiten der sozialistischen Marktwirtschaft à la China konfrontiert – mit dem Problem von Raubkopien etwa. Steen zitiert Cui Jian aus dem Jahre 1995: „Nach einem Besuch im Rockkonzert hören sich die Leute zu Hause Schmalzschlager aus Hongkong oder Taiwan an. Die meisten merken nicht einmal, daß es sich dabei um etwas andere Musik handelt.“ Helmut Forster-Latsch
Andreas Steen: „Der Lange Marsch des Rock 'n' Roll. Pop- und Rockmusik in der Volksrepublik China“.
Berliner China-Studien 32, LIT Verlag, Hamburg 1996, 260 Seiten, 38,80 DM
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen