: Wer Gewalt sät ...
■ Die verschiedenen Theorien der Wirkungsforschung
Die Diskussion über die Wirkung dargestellter Gewalt ist uralt. Schon von den alten Griechen ist die Furcht überliefert, junge Zuschauer könnten angesichts der Brutalität diverser Bühnenaufführungen Schaden an ihrer unschuldigen Seele nehmen.
Bis in die Neuzeit hat sich hartnäckig die Vermutung gehalten, vorgeführte Gewalt müsse unweigerlich Folgen haben: Wenn sie nicht zur Nachahmung verführe, dann werde sie zumindest abstumpfen. Vor allem in bezug auf Kinder und Jugendliche waren die (nicht selten selbst ernannten) Pädagogen frei von jedem Zweifel: Durch die Identifizierung mit Täter und Opfer in Kino oder Comic strip bleibe dem jungen Publikum gar keine andere Wahl, als sich wehrlos dem Einfluß der gewalthaltigen Darbietung hinzugeben.
Die verschiedenen Ansätze der Wirkungsforschung hinsichtlich der Darstellung von Gewalt lassen sich im wesentlichen auf vier Theorien reduzieren. Sie sind ausnahmslos geprägt von der jahrzehntelang vorherrschenden Überzeugung, jedes Individuum reagiere ganz ähnlich, wenn man es gleichen Reizen aussetze (Stimulus/Response bzw. Reiz/Reaktions-Modell). Die Anhänger der Stimulationsthese sagen, die häufige Beobachtung von medialer Gewalt führe im Zuge des Nachahmungstriebes unweigerlich zur Brutalisierung des Zuschauers. Eine etwas abgeschwächte Position formuliert die Habitualisierungsthese: Wer ständig beobachte, daß Gewalt ein probates Mittel zur Konfliktlösung sei, übernehme diesen Standpunkt irgendwann. Die Vertreter der Katharsisthese hingegen behaupten, daß das Betrachten dargestellter Gewalt reinigenden Charakter habe. Noch einen Schritt weiter geht die Inhibitionsthese: Wer Gewalt beobachte, identifiziere sich instinktiv mit den Opfern; die Folge seien Hemmungen, selbst gewalttätig zu werden.
Erst in jüngster Zeit hat die Wirkungsforschung erkannt, daß Medienwirkung eine höchst individuelle Angelegenheit ist und vielen unterschiedlichen Einflüssen unterliegt. Entscheidend dafür, wie ein Kind zum Beispiel eine gewalthaltige Szene in einem Krimi aufnimmt, ist seine (Medien-) Biographie. Ein Junge mit stabilem sozialem Umfeld sieht ein und dieselbe Szene womöglich ganz anders als ein Junge, der weitgehend sich selbst überlassen bleibt. Auf Mädchen hat dargestellte Gewalt ohnehin andere Auswirkungen, zumal Frauen in Krimis vorwiegend die Opfer darstellen.
Weitgehend unbeachtet bleibt in der Diskussion die Wirkung von nichtfunktionaler Fernsehgewalt. Laut einer Untersuchung des Münchner Instituts Jugend Film Fernsehen sind nur wenige Kinder im Alter von 8 bis 13 Jahren in der Lage, mit Informationen im Fernsehen angemessen umzugehen. Gerade die Infotainment-Sendungen engen das Gesichtsfeld der Kinder auf Bedrohungen und Gefahren ein. Ohnehin vorhandene Ängste und Unsicherheiten gegenüber einer allzu komplexen Welt werden verstärkt. Die Kinder haben kaum eine Möglichkeit, das Gesehene adäquat zu verarbeiten. Tilman P. Gangloff
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