: Schuld und Sühne
Edward Zwicks Golfkriegsfilm „Mut zur Wahrheit“ arbeitet sich an Fragen der Ehre ab ■ Von Anke Westphal
Im Januar 1991 leuchtet der Himmel über der Wüste von Irak durch den Sucher des Zielfernrohrs grün. Der Offizier der U.S. Army, Nathaniel Serling (Denzel Washington), hat Probleme: Bei einem Gefecht gegen die Irakis hat er im Chaos von Nacht und Angst versehentlich auf seine eigenen Leute schießen lassen. Er fühlt sich nicht nur schuldig, er hat einen Schock. Serling wird nach Hause gerufen, trinkt und vernachlässigt seine Familie. Doch in Washington D.C. ist man nicht an einem Skandal interessiert, sondern an Motivation und Helden. Captain Karen Walden (Meg Ryan) wurde bei einem Rettungseinsatz in der Wüste getötet. Als erster Frau der amerikanischen Geschichte soll ihr posthum die Tapferkeitsmedaille verliehen werden. Serling wird ausgesandt, zu prüfen, ob sie der Ehrung würdig ist – und hat ein neues Problem.
Wie war Karen Walden wirklich? Ein Mannweib, eine Heilige, eine Heulsuse, ein durchschnittlicher Mensch, ein Kamerad? Jeder Überlebende ihrer Truppe erzählt Serling eine andere Geschichte. In jeder ädert Karen Waldens Blut am Ende die Scheibe des Rettungshubschraubers. Davor wird die Wahrheit von Eigeninteressen verformt.
Der Golfkrieg ist kein populäres Thema für einen Kinofilm, und Regisseur Edward Zwick geht es dankenswerterweise auch nicht darum, zu erörtern, ob Frauen im Krieg überhaupt etwas verloren haben. Daß Karen Walden eine Frau ist, macht nur ein übergreifendes Problem noch extremer. Serling soll eigentlich nichts weiter als einen Bericht unterschreiben, doch er rollt den Fall Walden gegen alle Anordnungen auf. Nathaniel Serling tut das, weil er selbst beschädigt ist – schon lange nicht mehr naiv, schwankt er doch wie ein Zombie durch die Kanäle der Macht – zu Anfang blicklos und alptraumgejagt, später von bitterer Wachheit. Serling benötigt vielleicht nicht die „Ehre“, aber Aufrichtigkeit wie die Luft zum Atmen. Der Mensch, so will uns Edward Zwick – wie so viele vor ihm – kundtun, lebt nicht vom Brot allein. „Mut zur Wahrheit“ ist weniger ein Film über Tapferkeit, Mut oder Zivilcourage als einer über die Dysfunktionalität von Helden und Heldentum. Und letztlich ist es ein Film darüber, wie grausam der Krieg die Überlebenden zerstört hat. Edward Zwicks Film wirkt für Hollywood-Verhältnisse erstaunlich komplex, arbeitet er sich doch bis auf die Knochen am Zusammenhang zwischen den ältesten Hierarchien der Welt – Mann/Frau/ Gruppe – und der Definition von Tapferkeit ab. Was ist tapfer, wer beurteilt das und wie? Ist Tapferkeit eine Sache des Prinzips oder der Vernunft? Eine Klubangelegenheit unter Männern? Ist es tapfer, abzuhauen, wenn keine Munition mehr da ist, oder ist es tapfer, sein Leben um jeden Preis einzusetzen? Darf geduldet werden, daß eine Frau tapfer bleibt, wo Männer versagen – ausgerechnet in einem Männerspiel?
Der Trick mit dem dysfunktionalen Helden ist jedoch immer ein bißchen doppelbödig. Sicher, auch Serling kann sich selbst reinigen, indem er Karen Walden, die dazu nicht mehr imstande ist, reinwäscht. Er rehabilitiert Walden von übler Macho-Nachrede; er fährt zu den Eltern der Soldaten, die durch seinen Befehl umkamen, und sagt die Wahrheit. Seine Schuld bleibt, aber die Lügen wird er los – Kriterien, mit denen ein administrativer Apparat nicht arbeitet. Das eigentliche Problem der Staatsräson und ihrer Folgen wird in den privaten Sektor abgeschoben. Serling ist ein weiterer einsamer Wolf, der sich, als er in den Bürolabyrinthen der Institutionen zu scheitern droht, mit der Presse verbündet. Am Ende geschieht denn auch, was Serling ebenso hellsichtig wie angewidert vorausgesehen hatte: Washingtons Prominenz übergibt Karen Waldens vierjähriger Tochter die Tapferkeitsmedaille der Mutter. Ein vermeidbarer Tod – wozu Kriege da sind, fragt der Film nicht – wird zum Symbol degradiert. Und die Leute zu Hause vor den Fernsehern weinen.
„Mut zur Wahrheit“. Regie: Edward Zwick. Mit Denzel Washington, Meg Ryan, Michael Moriarty u.a. USA 1996, 116 Min.
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