■ Israel: Nach monatelangen zähen Verhandlungen um Hebron scheint der Friedensprozeß gerettet zu sein. Vorerst.
: Das gute Ende eines bösen Spiels?

Es ist vollbracht: Mehr als hundertmal wurde in den letzten Monaten der unmittelbar bevorstehende Durchbruch beim längst überfälligen Hebron-Abkommen vermeldet. Unter Nahost-Journalisten wurden derartige Meldungen schon längst als Running Gag gehandelt. Nun ist es tatsächlich unterschrieben worden. Zeit, sich zu fragen, ob dieses Abkommen auch den Friedensprozeß rettet.

Zufrieden dürften derzeit noch die beiden Verhandlungspartner sein. Benjamin Netanjahu und PLO-Chef Jassir Arafat können den gestrigen Tag als Erfolg auf ihrem Konto verbuchen. Ersterer, weil er es tatsächlich geschafft hat, die Ausführung eines bereits längst unterschriebenen Abkommens trotz massiven internen und internationalen Drucks so lange hinauszuzögern. Eigentlich hätte sich laut dem Oslo-II-Abkommen die israelische Armee bereits letzten März aus einem Teil von Hebron zurückziehen müssen. Jetzt, fast ein ganzes Jahr später, sieht diese Tat um so größer aus. Aus längst Vereinbartem wurde so ein Zugeständnis fast historischen Ausmaßes, und Netanjahu selbst, der bereits bei seinem Amtsantritt weltweit diskreditiert war, erscheint nun als Friedensmacher.

Arafat seinerseits kann sich beglückwünschen, seinen Fuß bereits in der nächsten Tür zu haben. Er hat sich in den letzten Jahren auf die israelische Salamitaktik eingestellt. Scheibchenweise Zugeständnisse und dann sehen wir weiter. Diesmal hat Arafat dafür gesorgt, daß die nächste Scheibe zumindest angeschnitten ist. Netanjahus Plan, mit Hebron den „Friedensprozeß“ abzuschließen, hat Arafat beharrlich zum Scheitern gebracht. Denn was gestern in Erez von den beiden Männern unterschrieben wurde, ist mehr als die Vereinbarung über den Teilrückzug aus Hebron. Bis zum Sommer 1998 sollen sich die israelischen Truppen auch aus weiteren, bisher allerdings nicht festgelegten Gebieten des Westjordanlandes zurückziehen.

Ähnliches war bereits im Oslo- II-Abkommen im September 1995, ebenfalls sehr unkonkret, vereinbart worden. Mit diesem Blick nach vorn hat Arafat die Verhandlungen der nächsten Monate festgelegt. Hebron wird diesen Prozeß nicht, wie von den israelischen Hardlinern gewünscht, abschließen. In den nächsten Monaten wird es darum gehen, wo und in welchem Ausmaß sich die israelische Armee aus weiteren Gebieten zurückziehen muß. Das Prinzip „Land gegen Frieden“ steht so weiter auf der Tagesordnung. Zwar hat die israelische Seite im Moment laut Abkommen einseitig das Recht, die Gebiete des Rückzuges zu bestimmen – praktisch gesehen wird dies aber sicherlich in einem Zusammenspiel mit anderen Maklern geschehen.

Die arabische Seite, wie der jordanische König Hussein, der bereits dieses Abkommen vermittelt hatte, und der ägyptische Außenminister Amru Musa, hat schon davon gesprochen, daß sie in den nächsten Monaten einen substantiellen israelischen Rückzug erwartet. Auch die US-Seite, ohnehin nicht allzu begeistert von Netanjahus Politik, dürfte sich mit territorialen Peanuts wahrscheinlich ebenfalls nicht zufrieden geben. Vorhang auf für den nächsten Akt.

Also Gewinner auf allen Seiten? Netanjahu, der Friedensengel, und Arafat, der standfeste Verhandler? Nicht umsonst heißt es „Friedensprozeß“, und in Prozessen sind Erfolge meist nur kurzfristiger Natur.

Mit dem Teilrückzug aus Hebron und dem späteren Abzug aus den noch nicht bestimmten Gebieten werden die Frontlinien enger zusammenrücken. Daß dies nicht nur eine beliebige Linie, sondern tatsächlich die Front bleibt, dafür sorgen in Hebron schon allein die 400 schwerbewaffneten jüdischen Siedler inmitten von 120.000 Palästinensern, von denen viele der islamistischen Hamas nahestehen. Um die Sicherheit der Siedler zu gewährleisten, wird Netanjahu auch in Zukunft eine halbe Garnison abstellen müssen. Ein sicheres Rezept für zukünftige Auseinandersetzungen. Hier zeigt sich noch einmal, was das kleine Wörtchen „Teil“ in „Teilrückzug“ bedeutet.

Hebron und der ganze Wirrwarr darum, wer was und wo kontrolliert und wie bewaffnet er sein darf, machen das ganze Dilemma von Oslo deutlich. Dabei wäre die Lösung für Hebron so einfach: Keine Siedler – kein israelisches Sicherheitsproblem. Hier rächt sich, daß im Oslo-Abkommen bisher die Grundprobleme wie israelische Siedlungen, der Status von Jerusalem und Flüchtlinge ausgeklammert wurden. Man wollte mit den einfachen Dingen anfangen und erst in späteren Verhandlungen mit den komplizierten Fragen beginnen. Im letzten Jahr hatten die komplizierten Dinge die einfachen fast täglich eingeholt. Erinnert sei hier nur an die Auseinandersetzungen im letzten September, die fast 80 Israelis und Palästinenser das Leben kosteten. In der Westbank ist ein Bantustan-Alptraum entstanden, der weder den Israelis Sicherheit noch den Palästinensern ein Minimum an Bewegungsfreiheit, geschweige denn ihren Traum vom eigenen Staat garantiert. In mancher Hinsicht hat Oslo, auf dem halben Wege steckengeblieben, das Leben beider verschlechtert. Daran ändert auch das gestrige Abkommen nichts.

Auch die nächsten Monate werden zeigen, daß der Status quo ohne Auseinandersetzung mit der Frage der israelischen Siedlungen zur weiteren Eskalation führt. Deshalb gilt es nun, den Prozeß schnell weiter voranzutreiben. Der nächste Schritt hieße dann Endverhandlungen um den Status von Jerusalem, die Siedlungen und die Flüchtlinge.

Damit wird freilich das ganze Dilemma deutlich. Denn ernsthafte Verhandlungen über diese Fragen dürften mit Netanjahu und dessen Kabinett, in dem auch Leute wie der Araberfeind Ariel Scharon den Ton angeben, kaum möglich sein. Netanjahu wird sich wahrscheinlich einer alten Likud- Strategie erinnern: Verhandeln um des Verhandelns willen, ein paar Hände schütteln, hier und da ein kleines Zugeständnis und gleichzeitig harte Tatsachen schaffen – etwa neue Siedlungen bauen.

Das jetzige Abkommen bringt beide Seiten in eine neue „Wait and see“-Position. Arafat schafft es, weiter Stück für Stück neue Gebiete mit neuen Gewehren zu versorgen, und Netanjahu hat durch die gummiartigen Formulierungen über den weiteren Rückzug immer noch alle Möglichkeiten, alles weitere zu blockieren. In Zukunft wird es darum gehen, zu verhindern, daß die Palästinenser auf die israelische Verzögerungstaktik am Ende mit Waffen antworten. Dazu hat das neue Abkommen nur einen geringen Beitrag geleistet. Karim El-Gawhary