: Das Prinzip bleibt: Land gegen Frieden
Das Hebron-Abkommen ist der erste Vertrag zwischen Netanjahu und seinem einstigen Erzfeind Arafat. Jetzt wächst der Einfluß der USA im Nahen Osten weiter. Israel hofft auf gute Beziehungen zur EU und zu den arabischen Nachbarn.
Mit der Paraphierung des Hebron-Abkommens hat der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu seinen ersten Vertrag mit dem ehemaligen Erzfeind Jassir Arafat geschlossen. Noch letztes Frühjahr, während des Wahlkampfes, hatte der Führer des Likud-Blocks eine Begegnung mit dem Chef der palästinensischen Autonomiebehörde ausgeschlossen – eine Position, die er angesichts des US-amerikanischen Drucks nicht lange halten konnte.
Nun hat er auch dem Prinzip „Land gegen Frieden“ zugestimmt – ein Prinzip, das er zuvor abgelehnt hatte. Doch historisch, wenn man derartige Begriffe bemühen will, ist das Hebron-Abkommen nicht wegen seiner Inhalte, sondern weil es das erste Abkommen zwischen einem Likud-Führer und Arafat ist.
Die nach fast viermonatigen Verhandlungen erzielte Übereinkunft enthält im Grunde lediglich revidierte Zeitpläne und Neuauslegungen des Inhalts der beiden früheren israelisch-palästinensischen Abkommen aus den Jahren 1993 und 1995 (OsloI und OsloII). Es unterscheidet sich von seinen beiden Vorläufern durch die intensive US-amerikanische Beteiligung, vertreten durch die Person von Dennis Ross, der an den Verhandlungen persönlich teilnahm. Diese verstärkte Rolle der USA schlägt sich im Abkommen nieder durch eine Reihe von Garantien und Begleitbriefen, in denen die Verpflichtungen beider Seiten – allerdings ohne Termine für deren Umsetzung – aufgeführt sind, um so auch für die Zukunft die Schiedsrichterfunktion der USA abzusichern.
Das Abkommen, das erst nach seiner Bestätigung durch die Regierungen und Parlamente der beiden Seiten unterzeichnet werden kann, besteht im wesentlichen aus zwei Teilen. Zum einen geht es um den israelischen Teilrückzug aus der Stadt Hebron im Westjordanland, der eigentlich schon im Mai letzten Jahres hätte stattfinden sollen. Nach Auffassung der Arbeitspartei unterscheidet sich dieser Teil nur sehr unwesentlich von den ursprünglichen Arrangements, die die Regierungen unter Rabin und Peres mit den Palästinensern ausgehandelt hatten.
Zum zweiten geht es um eine Reihe von Vereinbarungen zur Übergabe ländlicher Gebiete des Westjordanlandes, die noch von Israel besetzt sind, an die palästinensische Autonomieverwaltung. Unter anderem wurde ein neuer, dreistufiger Zeitplan festgelegt, wobei die Gebiete, aus denen die israelische Armee abzieht, jedoch nicht definiert wurden.
In diesem Punkt haben sich die Palästinenser vertraglich bereiterklärt, die Beendigung der Landübergabe um ein Jahr, vom Sommer 1997 auf den Sommer 1998, zu verschieben. Neun Monate später sollen die entscheidenden endgültigen Verhandlungen über Fragen wie Jerusalem, Siedlungen, Flüchtlinge, Kontrolle über Land und Wasser, Grenzziehungen etc. abgeschlossen sein. Diese Verhandlungsrunde, deren Beginn in den Osloer Abkommen für den vergangenen März vorgesehen waren, sollen nun tatsächlich erst in zwei Monaten in die Wege geleitet werden.
Durch den von Israel verursachten Aufschub kommt es jetzt zu einer zeitlich sehr engen und komplizierten Überschneidung von Verhandlungen auf drei Ebenen: Erstens geht es um die Durchführung von zahlreichen bisher versäumten oder sonst unerfüllten „Restbeständen“ der Osloer Abkommen (beispielsweise die Freilassung palästinensischer Gefangener), zweitens um die bevorstehenden Gespräche über das Ausmaß der drei umdatierten israelischen Rückzugsphasen im Westjordanland, und drittens die Verhandlungen über eine endgültige Lösung. Diese Kombination und Anhäufung sehr verschiedener, schwer zu lösender Probleme ist fast ein Rezept für eine Kette von Konfliktsituationen, die angesichts des deutlichen Mangels an Vertrauen zwischen den beiden Seiten leicht zum Zusammenbruch des gesamten Friedensprojekts führen können – oder zumindest zu seiner Vertagung bis ins nächste Jahrhundert.
Gerade darin sehen verschiedene Kreise in der Regierungskoalition und Siedler einen Hoffnungsschimmer: Für sie ist Großisrael noch lang nicht verloren. Erstaunlich zurückhaltend und wenig militant ist auch die Reaktion eines Teils der Siedlerführer. Sie beschränken sich einstweilen darauf, die Koalitionsvertreter in der Regierung zu überreden, gegen das Abkommen zu stimmen. Dabei ist bereits klar, daß Netanjahu eine Mehrzahl der Minister auf seiner Seite hat, und nur sieben von achtzehn Stellung gegen das Abkommen bezogen haben.
In der Knesset, dem israelischen Parlament, erwartet Netanjahu heute keine Schwierigkeiten. Die oppositionelle Arbeitspartei hat das Hebron-Abkommen als Beitrag zum Frieden begrüßt und wird die Regierung auf alle Fälle unterstützen. In diesem Zusammenhang hört man auch wieder den Ruf nach einer Regierung der „nationalen Einheit“. Andere Kreise in Koalition und Opposition meinen, es genüge die Herstellung eines „nationalen Konsenses“ zu wichtigen außenpolitischen und Sicherheitsfragen – einstweilen ohne Änderungen in der Zusammensetzung der Regierung.
Versehen mit dem Segen der Arbeitspartei kann sich Netanjahu jetzt leichter als ein realistischer Konservativer darstellen, um sein lädiertes Image positiv zu verändern. Dies um so mehr, als sich gegenwärtig ein radikaleres Lager rechts von der Haupströmung des Likud-Blocks entwickelt. Dieses wird vom ehemaligen Ministerpräsidenten Jitzhak Schamir angeführt, der selbst Likud-Mitglied ist. Schamir bezeichnete das Hebron- Abkommen gestern als eine „Kapitulation“.
Im Vergleich zu seinen beiden Vorgängern kommt das jetzige Abkommen deutlich den israelischen Regierungsinteressen entgegen. So wird von Regierungssprechern hervorgehoben, daß Israel – im Gegensatz zu den früheren Absprachen – allein bestimmen kann, wann und wie viele Gebiete in Zukunft an die Palästinenser abgegeben werden sollen. Angesichts der entscheidenden Übermacht des israelischen Partners und der von den Palästinensern wiederholt gerügten einseitigen Stellung der amerikanischen „Mitspieler“, wäre auch kein ausgeglicheneres Resultat zu erwarten gewesen.
Klar ist, daß Benjamin Netanjahu, dessen Prestige bei der eigenen Bevölkerung und im Ausland im Laufe des letzten halben Jahres ständig gesunken ist, nun beabsichtigt, das Hebron-Abkommen als Ausgangspunkt für eine breit angelegte weltweite Kampagne zu nutzen, die seine Regierung als einen von den USA bevorzugt behandelten, friedensorientierten Faktor darstellt, deren Stabilität den großen Investoren auch attraktive wirtschaftliche Entwicklungsmöglichkeiten für diese Region bietet.
Netanjahu will die in den letzten Monaten eingefrorenen Beziehungen zur arabischen Welt, die Rabin und Peres in der Vergangenheit nach den beiden Osloer Abkommen verbessern konnten, rasch wiederbeleben. Dringend aufzupolieren sind Israels belastete Beziehungen mit Ägypten, Nordafrika und dem Golf. Auch mit der Europäischen Union möchte Netanjahu nach dem Abkommen nun ein neues, glücklicheres Kapitel eröffnen.
Durch die Art und Weise, wie das Hebron-Abkommen zustande kam, ist der amerikanische Einfluß auf die Verhältnisse in der Region enorm gewachsen. Mit Zuckerbrot und Peitsche wird Washington ab jetzt bei jeder Gelegenheit nicht nur in die israelisch-palästinensischen Konflikte eingreifen, sondern auch versuchen, den Verhandlungsprozeß zwischen Isarel und seinen nördlichen Nachbarn Syrien und Libanon zu erneuern und voranzutreiben. Amos Wollin, Tel Aviv
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