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Die Hodenbadegruppe

■ Wie Männer verhüten / Der Bremer Heiko Pust hatalle, aber auch alle Möglichkeiten aufgeschrieben

Der Sex geht den Bach runter. Den Lustverlust beschreien alle einschlägigen Untersuchungen. Woran liegt's? Niemand hat Lust auf Kinder, geschweige denn AIDS, die Frauen wollen keine Hormone mehr schlucken, den Kerlen geht die Verhütung am Arsch vorbei. Was tun? Fragen wir Herrn Pust. Herr Pust ist Bremer Heilpraktiker, hält sich für einen Menschen „mit weit gefächerten, oft sehr speziellen Interessengebieten“, interessiert sich also auch für „Die sichere Lust - Verhütung für den Mann“, und genauso heißt sein Buch, seit kurzem auf dem Markt.

Um es gleich zu sagen: Man ist ja männerverhütungsmäßig praktisch ein Ananlphabet. Coitus Interruptus ha ha, Gummi o weh, Sterilisation aua. Und Schluß. Und keiner kennt die Schweizer Hodenbadegruppe.

1987 haben sich zehn Schweizer Männer getroffen, sich auf Spezialstühle gesetzt, in denen war ein Loch, darunter ein Wasserbecken mit Tauchsieder. Nun hängten die zehn Männer ihre Hoden ins exakt 45 Grad heiße Wasser, beschwerten dieselben, damit sie nicht aufschwammen, mit Bleigewichten, lasen ein gutes Buch oder unterhielten sich gepflegt, täglich eine Dreiviertelstunde, vier Wochen lang. Resultat: Sie waren anschließend vier Wochen lang unfruchtbar. Und hatten eine zumindest eigenwillige Verhütungsmethode entwickelt.

Das klappte, weil der Hoden eigentlich immer schön kühl bleiben muß, darum hängt er auch außerhalb des eigentlichen Körpers. Dieses Wissen ist alt und wird – andersherum – angewandt, um traurigen Paaren zu helfen, die keine Kinder kriegen. Da wird den Männern gesagt, keine engen Unterhosen, kein Taxifahrer sein oder Busfahrer, notfalls sogar Hodenkühler einbauen (gibt es!). Wer also kinderlos bleiben will, legt sich viel in die Sonne (arabische Methode); hockt sich regelmäßig in den heißen Wüstensand (afrikanische Stammesmethode); oder zieht „Dr. Rock's heiße Höschen“ an, das sind isolierende Hodensackhalter, in den USA erfunden.

Der französische Männerforscher Roger Mieusset ging noch einen Schritt weiter und veranlaßte eine Gruppe von Probanden, ihre Hoden täglich zurück in den warmen Bauchraum zu schieben, was ohne weiteres möglich ist, wie Fußballspieler aus leidvoller Erfahrung wissen. Dann zogen die Männer knallenge Spezialslips an, die ein Loch für Penis und (leeren) Hodensack hatten. Oder hielten die Eier mit einem engen Ring im Bauchraum zurück. 22 Monate ganztags getestet – der Erfolg war enorm. Nach drei Monaten schon verzichteten die Versuchspersonen auf andere Verhütungsmethoden. Die Samenanzahl pro Ausstoßung nahm um 80 bis 95 Prozent ab, das Sperma wurde „lahm“ und deformiert. Und siehe: Schwangerschaften blieben aus.

Die Hodenerhitzung scheint von allen bei Herrn Pust dargestellten Methoden die erfreulichste zu sein, wenn auch noch allerhand Breitenuntersuchungen vonnöten sind. Herr Pust jedoch ist ein akribischer Verhütungsforscher, und deshalb unterhält er uns auch mit noch lustigeren Tips. Unausgereift ist noch der Weg, Hoden mit Ultraschall zu bepiepsen (Methode „Mikrowelle“). Altes malayisches Urwaldwissen kennt Microporus Xanthopus, einen unfruchtbar machenden Pilz. Gräbt man in verflossenem Schrifttum, stößt man unweigerlich auf den gefleckten Wasserschierling und das schwarze Bilsenkraut, in einem Umschlag um die Hoden zu legen. Und seit einem Berliner Arzt auffiel, daß unglückliche Kinderlose sich bisweilen dadurch auszeichnen, daß der Mann sehr athletisch aussieht, weiß man, daß Anabolika unfruchtbar machen können. Die hormonelle Verhütung allerdings, beklagt auch Herr Pust, ist noch immer in den Kinderschuhen.

Mehr der Vollständigkeit halber – und als warnendes Beispiel – skizziert das Buch die Interruptus-Methoden: den eigentlichen (den „katholischen“) Coitus Interruptus (Schwangerschaftswahrschein-lichkeit 10-30 Prozent! Führt leicht zu „Stöpselgefühlen im After“); den C. Prolongatus bzw. die Mazdaznan-Methode (zwei Stunden Liebesakt ohne Orgasmus); den C. Saxonicus, der auf die Siebenbürger Sachsen zurückgehen soll und mit dem „Sächsischen Griff“ funktioniert, der am Penisansatz zupackt, so daß der Samen in die Blase zurückläuft; und den C. Hispanicus, bei dem das Sperma möglichst in den vorderen, „sauren“ und spermafeindlichen Teil der Vagina gelangen soll.

Unter den Bedingungen von AIDS wäre es geradezu fahrlässig, nicht für Kondome Werbung zu machen. Der Leser lernt immerhin, daß die Stiftung Warentest die Benutzung von polnischen, tschechischen und russischen Kondomen nicht nahelegt, daß man sich in Japan mittels eines Wachsmodells seines Penis Präservative spezial-anfertigen lassen kann, man aber hierzulande der DIN-Norm 58993 unterworfen ist und also fast alle Kondome 190 mm lang sind. Wer nicht Besitzer eines Norm-Penis ist, wo es also klemmt oder schlabbert, der muß in Kondomerien suchen (Adressen im Anhang).

Einer wie der Herr Pust kann es nicht lassen. Er stellt unter „Kondome“ auch die Schafsblinddärme mit Schnürbändchen vor, Artikel mit langer Tradition, die heute gewisse Geschäfte unter „Scherzartikel“ führen. Herr Pust hat sie für den Stückpreis von 8 Mark aus den USA bezogen und beschreibt den Tragekomfort als „gewöhnungsbedürf-tig“ („schwieriges Abrollen“!). Die ausführliche Behandlung besonders unsicherer Verhütungsmethodenführt uns zu dem Eindruck, daß Herr Pust eher kulturgeschichtlich arbeitet und sein Buch letztlich kinderfreundlich ist. Wogegen nichts einzuwenden ist.

BuS

Heiko Pust, Die sichere Lust – Verhütung für den Mann. 179 Seiten, zahlreiche auch lustige Illustrationen, Ritterhude 1996, DM 29,90.

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