■ Vorschlag: Allan Bennetts „Talking Head“ bei den Friends of Italian Opera
Graham und Leslie sind bedauernswerte Gestalten. Zwei tragischkomische Geschöpfe, die bisweilen Mitleid erregen. Das Gute für sie ist nur: Sie merken es nicht einmal. Leslie zum Beispiel: „I shot a man last week“, hebt sie an zu erzählen, und natürlich war das nicht echt, sondern nur im Film. Leslie ist eine ernsthafte Schauspielerin. Das weiß sie zwar, aber nicht jene Männer, die sie für einen B-Picture-Krimi engagiert hatten, der Leslie als Chance ihres Lebens vorkam. Und je mehr sie an ihrer Figur feilte, desto mehr Text wurde ihr gestrichen und dafür um so öfter ihr Busen entblößt. Das erzählt sie mit kindlich-stolzem Lächeln, betont immer wieder: „I'm professional“ und sitzt zu guter Letzt neben dem Telefon und wartet auf einen Anruf aus Hollywood.
Oder eben Graham. In Hausschluffen und mausgrauer Freizeitstrickweste. Graham ist ein schon betagtes Muttersöhnchen. Sein Schwulen-Pin-up-Magazin schlägt er fein säuberlich in ein Tuch ein, bevor er es im Nachtschränkchen versteckt. Graham war ein Herz und eine Seele mit seiner inzwischen 72jährigen Mama – bis plötzlich ein Charmeur auftauchte, der ihr gar Heiratspläne in den greisen Kopf setzte und damit die Ordnung dieser kleinen Welt aus den Fugen brachte. Aber dann wird doch wieder alles gut...
„Her Big Chance“ mit Lyndon Hughes und „A Chip in the Sugar“ mit Christopher Webber sind Monologe aus der Werkstatt des Briten Alan Bennett. Zu Hause in England ist er ein gefeierter, vielinszenierter Dramatiker, hierzulande kennt man ihn allenfalls durch seine Drehbücher für Stephen Frears „Prick Up Your Ears“ und „The Madness of King George“. Sechs solcher Monologe hatte Bennett unter dem Übertitel „Talking Head“ ursprünglich fürs Fernsehen geschrieben. Daß sie aber auch ganz gut fürs Theater taugen, zeigt dieses Gastspiel der London Actors Production. Nicht nur, daß die Geschichten von Leslie und Graham voll schwarzen Humors und subtiler Blicke in die menschlichen Abgründe sind, dieser Abend ist vor allem ein schauspielerischer Genuß. Keine großen Effekte, keine aufgeplusterten Regieeinfälle – die beiden DarstellerInnen beschränken sich auf ein Minimum an schauspielerischen Mitteln und schaffen es, ein ganzes Ensemble auf der Bühne erscheinen zu lassen. Im maskenhaften Gesicht des Graham genügt ein leichtes Heben der Stimme, ein Zucken mit der Augenbraue, und die keifende, dusselige Mutter scheint im Raum zu stehen. So viel Präzision und pointierten Ausdruck in der kleinsten Mimik, das wünschte man sich bisweilen in manch Berliner Produktion zu erleben. Axel Schock
Friends of Italian Opera. Fidicinstraße 40. Nächste Vorstellungen bis 2. Februar täglich, außer Dienstag, 20 Uhr
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