: Bomben fürs ungeborene Leben
■ Sechs Verletzte bei einem Anschlag auf eine Abtreibungsklinik in Atlanta. Weitere Attentate befürchtet
Washington (taz) – Vertreterinnen von Frauengruppen hatten sich gerade in Washington zu einer Pressekonferenz eingefunden, um einen Rückgang der Gewalttaten militanter Abtreibungsgegner zu verkünden – da traf die Nachricht aus Atlanta ein: Innerhalb von einer Stunde waren am Donnerstag morgen vor der „Atlanta North Side Family Planning“-Klinik zwei Bomben explodiert. Die erste detonierte gegen 9.30 Uhr, als die Klinik gerade öffnete. Der zweite, sehr viel stärkere Sprengsatz zündete 45 Minuten später und verletzte insgesamt sechs Menschen durch Schrapnell-Splitter.
Das Attentat ereignete sich kurz vor dem 24. Jahrestag jenes Urteils, in dem der Oberste Gerichtshof Schwangerschaftsabbrüche legalisiert hatte. Sowohl in Atlanta wie in anderen Städten wurde umgehend eine verstärkte Polizeibewachung für Frauenkliniken und Arztpraxen angeordnet, in denen Abtreibungen durchgeführt werden.
Gewaltakte gegen Kliniken, Personal und Ärzte sind nach Angaben der Lobbygruppe „Feminist Majority“ und „Planned Parenthood“, einer landesweiten Organisation für Familienplanung und Gesundheitsversorgung für Frauen, im Jahre 1996 zurückgegangen. Von 312 befragten Kliniken und Praxen vermeldeten 30 Prozent Drohungen und Attentatsversuche. 1995 waren es noch fast 50 Prozent gewesen. Polizeibehörden haben seit 1982 insgesamt 179 Fälle versuchter oder erfolgreicher Bombenattentate militanter Abtreibungsgegner untersucht. Doch in den letzten Wochen war die Zahl der Attacken auf Frauenärzte und Kliniken wieder gestiegen: In Baton Rouge in Louisiana wurde ein Gynäkologe niedergestochen; in Tulsa im Bundesstaat Oklahoma kam es zu einem Brandanschlag gegen eine Praxis, in der Abtreibungen durchgeführt werden; in Phoenix, Arizona, versuchten Abtreibungsgegner gleich drei Mal, eine Klinik in Brand zu stecken – allerdings erfolglos.
Vor allem das Attentat in Baton Rouge weckte Erinnerungen an eine Serie von fünf Morden durch militante „Lebensschützer“ 1993 und 1994, denen zwei Ärzte, zwei Arzthelferinnen sowie ein Pensionär zum Opfer fielen, der sich als Eskorte für Patientinnen und Ärzte zur Verfügung gestellt hatte. „Wir sind erschrocken und wütend über den Anschlag in Atlanta“, erklärte Eleanor Smeal, Präsidentin der „Feminist Majority“. „Aber überrascht sind wir nicht.“
Das „National Right to Life Committee“, eine Lobbygruppe von Abtreibungsgegnern in Washington, verurteilte den Anschlag. Nicht so ein Vertreter des militanten Flügels. „Es ist einfach wunderbar, wenn eine Abtreibungsklinik schließen muß – aus welchen Gründen auch immer“, verkündete Paul de Parrie, Mitherausgeber des Life Advocate-Magazins in Oregon gegenüber der New York Times. Aus dem Umfeld dieser Gruppe war vor zwei Jahren eine Schwarze Liste mit Namen von Gynäkologen veröffentlicht worden. „Wenn das Leben von Babies gerettet wird – egal mit welchen Mitteln – ist das großartig“, sagte de Parrie, um für die Täter von Atlanta im nächsten Atemzug höheren Segen in Anspruch zu nehmen: „Man kann doch niemanden für etwas verurteilen, das Gott selbst nicht verurteilen würde.“ Andrea Böhm
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