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Von Frieden ist nicht die Rede

Israels Armee hat jetzt vier Fünftel von Hebron an die palästinensische Polizei übergeben. Damit ist keine der beiden Seiten so recht glücklich  ■ Aus Hebron Susanne Kaiser

Mit großer Geste versucht ein palästinensischer Polizist Herr des Verkehrschaos an der Hebroner Ortseinfahrt zu werden. Zwar schert sich niemand so recht darum, aber jede seiner Gesten sagt: Seht her, jetzt bin ich hier der Boß. Endlich.

Um 6.10 Uhr an diesem Morgen hat der letzte Soldat das israelische Militärhauptquartier verlassen. Zwei Stunden später ziehen 400 Polizisten der palästinensischen Autonomiebehörde in die vier Fünftel der Stadt ein, die sie ab jetzt kontrollieren werden. An ihrem ersten Tag hat es sich natürlich niemand nehmen lassen, Dienst zu schieben. In Rudeln stehen die komplett neu eingekleideten Polizisten an den Straßenecken. Noch haben nicht alle so viel zu tun wie besagter Verkehrspolizist.

Seit der Nacht, kurz nach der endgültigen Absegnung des Hebron-Abkommens durch die Knesset, weht die israelische Flagge nicht mehr über dem Militärhauptquartier, das für die Palästinenser Hebrons 30 Jahre Besatzung und Repression symbolisiert. Doch riesige Befreiungspartys auf den Straßen bleiben aus. Auch das kurze Shakehands zwischen einem israelischen und palästinensischen Offizier, als der letzte israelische Armeelastwagen in der Frühe das Quartier verläßt, fällt nicht sehr bedeutungsschwanger aus. Man hat es ja auch in Zukunft nicht weit. Im Zentrum von Hebron werden auch weiterhin tausend israelische Soldaten 50 radikale jüdische Siedlerfamilien schützen. Premier Benjamin Netanjahu wird nicht müde zu betonen, daß Israel die „älteste jüdische Siedlung der Welt“ nicht aufgeben wird.

Die „Straße der Märtyrer“ ist zum ersten Mal seit drei Jahren wieder ein quirliges Zentrum. Nach dem Massaker des jüdischen Siedlers Baruch Goldstein in der Ibrahim-Moschee 1994 hatte die israelische Militärverwaltung aus Angst vor Racheakten alle Geschäfte schließen lassen. Palästinensern war es zudem nicht erlaubt, mit dem Auto hier langzufahren. Unter den Augen von Hunderten von israelischen Militärs und Polizisten am einen, Dutzenden palästinensischen Polizisten am anderen Ende und mindestens ebenso vielen JournalistInnen in der Mitte haben die ersten Geschäfte wieder geöffnet. Wie an einem Feiertag flanieren Hunderte von Palästinensern durch die Straße. Eine Gruppe plakatiert überall Arafat-Plakate, die ein kleiner Junge mit Kippa und Schläfenlocken in unbeobachteten Momenten so gut wie möglich wieder zu verwüsten versucht.

„Für uns ist heute ein sehr tragischer Tag“, sagt David Wilder, Sprecher der jüdischen Gemeinschaft in Hebron. Die Siedler fühlen sich verraten und erklären in jedes Mikrophon und jeden Schreibblock, daß mit Palästinensern ein Frieden unmöglich sei: „Wir wollen mit unseren Nachbarn in Frieden leben, aber nicht mit Terroristen“, sagt ein Siedler. „Meine Kinder haben Angst vor den Juden, und wir werden erst ruhig schlafen können, wenn sie endlich weg sind“, sagt dagegen die Palästinenserin Asisi Abad el Hadi. Junge palästinensische Studenten machen machohaft klar, daß sie nicht zufrieden sein werden, bevor ganz Hebron ihnen gehört. Die Anzeichen stehen nicht auf Zusammenleben. Zum Kontrollpunkt am Eingang der jüdischen Siedlung wurden gestern mehrere Rollen Stacheldraht geliefert.

Hitzige Knesset-Debatte zum Hebron-Abkommen

Jerusalem (AP/dpa) – Nach einer hitzigen Debatte hat das iraelische Parlament am späten Donnerstagabend mit klarer Mehrheit den umstrittenen Vertrag über den Teilabzug der Streitkräfte aus Hebron gebilligt. Die Entscheidung fiel mit 87 gegen 17 Stimmen bei einer Enthaltung. Die Zustimmung galt bereits vorher als sicher, da die oppositionelle Arbeiterpartei den Vertrag über die Erweiterung der Autonomie im Westjordanland im Grundsatz unterstützt.

Der konservative Ministerpräsident Benjamin Netanjahu mußte sich vor allem der Kritik aus den eigenen Reihen erwehren. Zu Beginn der Debatte hatte er noch einmal das Abkommen verteidigt. Es sei „besser, sicherer und verantwortungsbewußter“ als das, welches die frühere Regierung mit den Palästinensern ausgehandelt habe. Erboste Abgeordnete der Arbeiterpartei, die dies als Beleidigung des ermordeten früheren Regierungschefs Jitzhak Rabin betrachteten, forderten Netanjahu daraufhin auf, sich zu entschuldigen. Dieser lehnte das ab und betonte, er sei dafür, daß die jüdischen Siedlungen in Hebron wüchsen. Die Hebron-Vereinbarung wird nach einer Umfrage von 67 Prozent der Bevölkerung Israels unterstützt.

Eine turbulente Sitzung gab es auch im palästinensischen Autonomierat in Ramallah, wo Abgeordnete sich darüber beschwerten, daß sie das von Jassir Arafat ausgehandelte Abkommen nie zu Gesicht bekommen hätten. Die Regierung habe die Befugnisse des Parlaments ignoriert und übergangen, sagte Haidar Abdel Schafi, einer der entschiedensten Kritiker Arafats.

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