Vom SS-Bunker zum Eß-Bunker

■ Im Zweiten Weltkrieg bot Freiburgs Hirzbergstollen Schutz vor Bomben, heute bietet er das optimale Mikroklima für Champignons, Schiitakes und Korallenpilze

Einhundertzwanzig Meter auf sandigem Boden in die muffige Röhre hinein. Wiederholt muß man den Kopf einziehen und sich bei unwegsamen Abschnitten an der glitschigen Felswand festhalten. Auf dem Weg zur Pilzbrutstätte im Freiburger Hirzbergstollen gelangt man an eine Weggabelung, von der aus zwei weitere schummrige Bunkertunnel nach links und rechts wegführen. An den Wänden stehen rostige, dreistöckige Stellagen voller dunkelbrauner Mistpakete mit weißen Knubbeln obendrauf.

Hier wächst das, was im Großraum Freiburg so reißenden Absatz findet: Frische Pilze aus dem Hirzberg.

Behaglicher Schutz für „Blitzmädchen“

Das feucht-miefige Bergloch aus der Nazi-Zeit sah Anfang der 40er Jahre natürlich noch anders aus. Damals war der vom Reich angelegte Freiburger „Wehrmachtsstollen“ in der Nähe des Westwalls eine Kommandostelle der örtlichen Luftschutzabteilung. Zivilisten fanden hier keinen Schutz vor fallenden Bomben. Der Bunker war ausschließlich militärischen Zwecken vorbehalten. Im Hirzberg, wo heute bei perfekten Klimaverhältnissen die Pilze aus dem kompostierten Pferdemist schießen, rannten seinerzeit Horden von „Blitzmädchen“ herum, jene SS-Funkerinnen, denen das kleine, blitzförmige Abzeichen auf der Uniform den Spitznamen gab. Und die hatten es sich im Bunker gemütlich gemacht. Es gab Zentralheizung und Parkettboden, was man heute noch an den zwei, drei verwitterten Heizkörpern und einigen morschen Parkettleisten sehen kann. Die langen Gänge waren durch Zwischenwände in kleinere Funkerparzellen unterteilt, die nach dem Krieg herausgerissen wurden.

Die Franzosen, die den Hirzbergstollen ab April 1945 besetzt hielten, sprengten ihn nicht wie viele andere Bunker, und so passierte lange Zeit gar nichts. Auch als er wieder an die Deutschen zurückging, wußte keiner etwas mit dem modrigen Ding anzufangen. Für zivile Zwecke war der Stollen zu feucht, und so gammelte er lange Zeit vor sich hin, bis ihn schließlich der Pilzzüchter Peter Metzger vom Bund pachtete und sich mit seinen rostigen Regalen und den Pferdemistballen einquartierte. Seitdem kommen aus dem Berg die aromareichsten Pilze der Region. Der Mist ist der perfekte Nährboden und wird durch ein spezielles Gärungsverfahren innerhalb von 21 Tagen schnellkompostiert, danach wie Frischmilch pasteurisiert, um Keime, Fliegenlarven und andere Pilze abzutöten. Das Ganze wird mit Schwarztorf und Pilzbrut durchmischt und in Ballen gepreßt. Und auf denen wächst schließlich das, was bei einer anständigen Pizza funghi nicht aus der Dose sein sollte.

Wohnstatt für Neu- europäer aus Asien

Im Bunker herrscht ein ideales Mikroklima, nachdem die Zentralheizung aus den Vierzigern längst ihren Geist aufgegeben hat und sämtliche Überbleibsel der Wehrmacht vor sich hin rotten. Luftfeuchtigkeit und Temperatur um die 18 Grad sind konstant, egal ob der Kunde vor dem Höhleneingang schwitzt oder friert.

Neben Champignons gedeihen ein paar Mistballen weiter auch die beiden asiatischen Sorten: Schiitakes und die kleine europäische Neuheit, nämlich Korallenpilze, die bislang angeblich nur in Asien gezüchtet werden konnten und dort als Heilmittel gegen Magengeschwüre gelten.

Die meisten Pilzzüchter sind Autodidakten, denn es gibt nur wenig Fachliteratur. Aus diesem Grund flog Peter Metzger nach Malaysia, ließ sich alle Tricks der Korallenpilz-Zucht beibringen und versuchte es dann im Nazi- Bunker. Es klappte. Seitdem schleppt der ehemalige Bauingenieur jeden Tag 70 bis 100 Kilo Pilze aus dem Stollen ans Tageslicht, wo begeisterte Hausfrauen, Restaurantbesitzer und Studenten mit ihren Einkaufstaschen stehen und 10 Mark und mehr pro Kilo zu zahlen bereit sind.

Längst hat Peter Metzger die Zeichen der Zeit erkannt. Früher arbeitete er als Ingenieur, und das mit den Pilzen ging so nebenher. Mittlerweile hat er seinen damaligen Job an den Nagel gehängt, denn für ihn ist der muffige SS- Bunker voller Pferdemist zur Goldgrube geworden. Alessandro Peduto