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Erhobenen Hauptes in den Weinkeller

Franz Vranitzky verabschiedet sich in den Ruhestand. Zehn Jahre regierte der sozialdemokratische Banker Österreich. Sein Nachfolger ist der bisherige Finanzminister Viktor Klima  ■ Aus Wien Ralf Leonhard

Schon seit der verpatzten Europawahl am 13. Oktober wurde Franz Vranitzky immer wieder gefragt, ob es nicht Zeit für eine Hofübergabe sei. Derartige Absichten wurden von Österreichs Bundeskanzler heftigst dementiert. Noch heftiger bestritt Finanzminister Viktor Klima Ambitionen auf den Kanzlerposten. Trotzdem war bei der plötzlichen Einberufung des SPÖ-Präsidiums am Samstag klar, daß die Stunde geschlagen hatte. Vranitzky erklärte seinen Rücktritt und schlug Klima als Nachfolger vor. Ein Vorschlag, der einstimmig angenommen wurde.

Übereinstimmend urteilen die politischen Kommentatoren, Vranitzky habe den bestmöglichen Zeitpunkt für einen ehrenvollen Abgang gewählt: die Schlappe der EU-Wahlen ist verdaut, durch den erfolgreichen Kauf der ÖVP-nahen Creditanstalt durch die SPÖ- nahe Bank Austria hat die Partei politischen Aufwind, die Auswirkungen des letztes Jahr beschlossenen Sparpakets haben sich noch nicht in vollem Umfang eingestellt. Vranitzky, der in seiner zehnjährigen Amtszeit die großen Entscheidungen immer gescheut hat, verabschiedet sich erhobenen Hauptes.

Der ehemalige Generaldirektor der Länderbank wurde 1984 von Fred Sinowatz in die Regierung geholt. Als Banker war er mit dem Flair der Kompetenz für das Finanzministerium umgeben. Dieses Image konnte er soweit konsolidieren, daß er zwei Jahre später von Sinowatz als Nachfolger vorgeschlagen wurde.

Die Koalition mit der FPÖ warf Vranitzky hin, als der liberale Parteivorsitzende Norbert Steger durch den deutschtümelnden Jörg Haider abgelöst wurde. Vranitzky schmiedete mit der christdemokratischen ÖVP eine große Koalition, die bis heute besteht. Weil er den Konservativen das Außenministerium abtrat, brachte Vranitzky den sozialdemokratischen Altkanzler Bruno Kreisky so in Rage, daß dieser den Ehrenvorsitz der Partei zurückgab. Auch sonst brach mit dem Banker an der Regierungsspitze die Nach- Kreisky-Ära richtig an. Die Zeit der Sozialreformen war vorbei.

In seiner Abschiedspressekonferenz hob er gestern hervor, die Österreicher hätten sich in der Zeit großer weltpolitischer Veränderungen „hervorragend geschlagen“. Tatsächlich ist der Lebensstandard in der Alpenrepublik auf ein nie dagewesenes Niveau gestiegen, und durch die Strukturreformen in der Industrie gibt es heute in absoluten Zahlen sogar 300.000 Arbeitsplätze mehr als in den siebziger Jahren.

Zum Abschied gab Vranitzky seinem Nachfolger noch eine Leitlinie vor: Es sei falsch zu fragen, ob der Sozialstaat in Zukunft noch zu finanzieren sei. Vielmehr müsse man sich fragen: „Welche Politik müssen wir betreiben, um den Sozialstaat der Zukunft zu sichern?“

Viktor Klima wird es nicht leicht haben, dies zu befolgen: Wenn Österreich die Maastricht-Kriterien erreichen will, dann ist ein weiterer Sozialabbau fast unvermeidlich. Am nächsten Sparpaket wird bereits gebastelt. Gleichzeitig sind sicherheitspolitische Entscheidungen zu fällen: Die ÖVP drängt auf einen Beitritt zur Nato, während eine Mehrheit innerhalb der SPÖ an der Neutralität festhalten will.

Der Wechsel im Kanzleramt bringt aber auch die ÖVP in Verlegenheit. Parteichef Wolfgang Schüssel, der als Vizekanzler und Außenminister der oberste Partner in der Koalition ist, beklagte sich, er sei vor der Entscheidung nicht informiert worden. Er muß sich jetzt überlegen, ob er die Koalition wieder platzen läßt, um Neuwahlen zu erzwingen, bevor die ÖVP von Jörg Haiders FPÖ überholt wird. Mit dem im Parteipräsidium durchgedrückten Beschluß, die Abgrenzungspolitik gegenüber der FPÖ sei fortzusetzen, hat Vranitzky seinem Nachfolger aber die Versuchung erspart, voreilig den Partner zu wechseln.

Klima, der vor seiner Berufung in die Regierung in der Partei nur in den untersten Gremien mitgemischt hatte, wird auf einem vorgezogenen Parteitag auch zum Vorsitzenden der SPÖ gewählt werden. Der 59jährige Vranitzky dementierte alle Meldungen, wonach er wahlweise Bundespräsident, Nachfolger Georges Santers als EU-Sekretär oder Chef der zukünftigen Euro-Zentralbank in Frankfurt werden wolle. Vorerst wolle er seine „Bibliothek ordnen und den Weinkeller sichten“. Er schließe allerdings nicht aus, daß er in einem halben Jahr interessante Angebote prüfen würde.

Portrait Seite 11

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