BSE kommt voran: Jetzt auch im Huhn

■ Hühnerwahnsinn in Großbritannien aufgetaucht. EU-einheitliche Kennzeichnung von Rindfleisch geplant

Newcastle (taz) – In Großbritannien ist der erste Fall von Hühnerwahnsinn bekannt geworden. Die zweieinhalb Jahre alte Henne, die dieselben klinischen Symptome wie BSE-erkrankte Rinder zeigt, stammt von einem Hof aus dem Süden Englands, auf dem bei Rindern bereits mehrere Fälle der bovinen spongioformen Enzephalopathie (BSE) aufgetreten sind. Das Huhn ist höchstwahrscheinlich durch Futtermehl, das den Errerger enthielt, infiziert worden. Bis August durften britische Schweine, Fische und Geflügel noch mit Tierkörpermehl gefüttert werden, obwohl sich Wissenschaftler schon seit Ende der achtziger Jahre einig sind, daß dieses Futtermehl den Rinderwahn ausgelöst hat.

Der indisch-englische Mikrobiologe Dr. Harash Narang hatte das Huhn vorige Woche in seine Wohnung nach Newcastle gebracht, um den Krankheitsverlauf beobachten zu können. „Legehennen werden normalerweise getötet, bevor sie zwei Jahre alt sind, Brathähnchen sogar schon mit 14 Wochen“, sagte er zur taz. „Aufgrund der Inkubationszeit treten die Symptome erst später auf.“ Das Huhn wurde am Wochenende eingeschläfert. Der Fall wirft zahlreiche Fragen auf: Können sich Menschen durch den Verzehr von infizierten Hühnern anstecken? Ab welchem Alter sind die Tiere infektiös? Und was ist mit den Eiern? In 14 Tagen will Narang weitere Ergebnisse und Analysen seiner Untersuchungen präsentieren.

Bisher sind bereits 14 Briten an einer neuen Variante des Creutzfeldt-Jakob- Syndroms (CJS), die mehr Ähnlichkeit mit BSE als mit der bisher bekannten Form von CJS aufweisen, gestorben. Nach Meinung der Creutzfeldt-Jakob-Überwachungseinheit in Edinburgh wird sich in den nächsten drei Jahren zeigen, ob man mit einer Katastrophe rechnen muß: Erkranken in diesem Zeitraum weniger als 20 Menschen im Jahr, werde die Zahl der Opfer am Ende „nur wenige Hundert“ betragen. Liege die Zahl jedoch bei mehr als 25 Fällen im Jahr, könnten insgesamt bis zu 80.000 Menschen daran sterben.

Narang hält nichts von solchen „Computerspielen“, wie er sie nennt. Zur Panik bestehe kein Anlaß, sagte er: „Wichtig ist, daß das Fütterungsverbot von Tierkörpermehl nicht aufgehoben wird.“ Seit August dürfen auch Schweine, Fische und Geflügel nicht mehr mit Fleischmehl gefüttert werden, obwohl es nach wie vor von Großbritannien in Länder außerhalb der Europäischen Union exportiert wird.

Narang glaubt, auf dem besten Weg zu sein, einen Impfstoff zu entwickeln. Wer Schaffleisch gegessen hat, das mit dem BSE-verwandten Scrapie infiziert war, ist gegen die neue Variante von CJS immun, sagt er. „Deshalb sind bisher vor allem junge Menschen daran gestorben“, sagt er. „Sie hatten kein infiziertes Schaffleisch gegessen, als BSE Anfang der achtziger Jahre ausbrach.“ Zwar habe mit Scrapie verseuchtes Futtermehl bei Rindern BSE ausgelöst, doch im Gegensatz zum Rinderwahn kann Scrapie dem Menschen wahrscheinlich nichts anhaben.

Die EU plant unterdessen die Einführung einer europaweiten Kennzeichnungspflicht für Rinder und Rindfleisch. Die EU-Agrarminister wollen bei ihrem heutigen Treffen in Brüssel versuchen, ein System zu finden, das die Herkunft von Kälbern und Rindern von Geburt an lückenlos registriert, damit ein Kontakt mit BSE-infizierten Beständen ausgeschlossen werden kann. Zuvor müssen im Ministerrat jedoch technische Fragen geklärt werden, um ein einheitliches Prinzip für alle 15 Mitgliedsländer zu entwickeln. Ralf Sotscheck taz extra Seite 13