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Goethe-Radio

■ Drama, mal ganz handlich: Ignaz Kirchner bietet „The Best of Faust“ im Thalia Theater

Als das Drama beginnt, muß es bereits einmal durchgespielt sein und wir uns folglich in der Wiederholungsschleife befinden. Schon in der ersten Szene von der Tragödie erstem Teil trägt Faust eine Bandage ums linke Handgelenk, gerade so, als wollte sie notdürftig eine zerschnittene Pulsader flicken. Auch am Ende wird der Alte versuchen, sich umzubringen, diesmal allerdings will er sich aufhängen. Den Strick um den Hals, steigt er auf den Stuhl. Dann geht das Licht aus, wom. Dann geht das Licht an, yeah. Heraus tritt Ignaz Kirchner, und einigermaßen betroffen liest er aus der Tragödie zweitem Teil. Ach, Faust! Ein deutsches Stehaufmännchen.

Ach; Faust! Erinnerung heißt das Soloprogramm von Ignaz Kirchner. Und wer erinnerte sich nicht an den armen Tor mit den zwei Seelen, ach, in seiner Brust? Kirchner jedenfalls tut es ausgezeichnet. Während den meisten Menschen aus ihrer Schulzeit nicht mehr hängengeblieben ist als „daß ich erkenne was die Welt, im Innersten zusammen hält“, hat Kirchner einfach alle faustschen Highlights parat. Angefangen von „Hier steh ich nun, ich armer Tor!/ Und bin so klug als wie zuvor“ über Mephistos Selbstvorstellung als „Teil von jener Kraft/ Die stets das Böse will und stets das Gute schafft“ hin zu Gretchens „Mein Ruh ist hin,/ mein Herz ist schwer;/ Ich find sie nimmer/ Und nimmermehr“.

Eine richtige Faust-Hitparade ist sein Programm, ein Höhepunkt reiht sich an den nächsten. Da ist Theater plötzlich wie Klassikradio: Das Publikum bekommt all die beliebten Stellen zum Mitsummen, die Komplexität des Werkes jedoch geht unweigerlich verloren.

Natürlich kann man Kirchner nicht vorwerfen, daß er nicht den ganzen Faust spielt. Das wäre dumm, da nicht zu leisten. Eine kluge Bearbeitung aber darf man erwarten, wenn das bedeutendste deutsche Drama auf ein handliches Neunzig-Minuten-Format gebracht wird. Robert Wilson schrieb für sein Hamlet-Solo das Stück zum Monolog um, Robert Lepage verkörperte bei seinem Solo des Klassikers faszinierend alle Rollen. Kirchner jedoch rezitiert bei seinem Projekt bloß Ausschnitte, die weder durch ungewöhnliche Auswahl überraschen noch zu einer interessanten Collage gefügt werden.

Distanz zum ehrfurchtheischenden Text ist kaum zu spüren und somit auch kaum Humor. Lacher gibt es nur anfangs, als Kirchner beim „Vorspiel auf dem Theater“ für den Direktor des Mittelmaßes ein Foto von Jürgen Flimm in die Lüft hält.

Dem Publikum wird eine bebilderte Hörkassette geboten, die für einen Literaturliebhaber in meditativer Grundstimmung durchaus ihren Reiz haben könnte. Doch ist für so ein elegisches Unternehmen das Große Haus des Theaters nicht der richtige Ort, und umgekehrt, mit Verlaub, Ignaz Kirchner für das Große Haus nicht der rechte Solo-Schauspieler. Im Oberrangfoyer hätte es vielleicht ein schöner „Goethe zum Anfassen“-Abend werden können. So aber machte sich in den etwas lichten Reihen Langeweile breit.

Christiane Kühl

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