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Ins Nirgendwo geschickt

■ Arbeiter-Samariter-Bund warnt: Bosnische Bürgerkriegsflüchtlinge sind über Rückkehr unzureichend informiert / Zuviel Vertrauen in deutsche Behörden?

Es geht eine amtliche Papierflut auf bosnische Kriegsflüchtlinge nieder. Doch von denen versteht nur eine Minderheit, worum es in den Schreiben geht, fürchtet Thomas Pörschke vom Arbeiter-Samariter-Bund (ASB) in Bremen Nord. Dafür spricht aus seiner Sicht, daß erst jetzt viele Flüchtlinge nach der seit Wochen gekürzten Sozialhilfe fragen. „Viele Flüchtlinge wurden zwar schriftlich informiert. Aber sie verstehen erst jetzt, daß die Sozialhilfe gekürzt worden ist.“ Selbst ein neuer Aufkleber im Paß machte sie beim letzten Behördengang zumeist nicht stutzig.

Der Grund für dieses Vertrauen in die deutschen Behörden sei deren Hilfsbereitschaft seit Kriegsbeginn. „Wir wurden hier ohne Pässe, ohne große Kontrolle einfach aufgenommen“, bestätigt das bosnische Ehepaar Sosevic dankbar. Dies und vielseitige Unterstützung habe in der bosnischen Flüchtlingsgemeinde das Bild von den verständnisvollen Deutschen verfestigt. „Niemand kann sich vorstellen, daß wir wirklich nach nirgendwohin geschickt werden sollen“, sagt Sosevic. Außerdem sei klar: Wer kann, würde am liebsten sofort zurückkehren. Insbesondere die Älteren, die sich auch nach mehreren Jahren Deutschlandaufenhalt nur mit Mühe hier verständigen können, würden darauf warten. „Für die meisten bleibt es aber eine Frage von Zeit, bis sie etwas finden.“

Nicht so für die Behörden. Nach der Gesetzeslage sollen – bis auf Ausnahmegruppen wie Traumatisierte, Familien mit kleinen Kindern und wenige andere – die bosnischen Kriegsflüchtlinge zum 31. März ausreisen. Das Problem aus deren Sicht schildert Sosevic: „Die Gebiete, in die wir heute zurücckehren sollen, sind zwar vom UN-Flüchtlingsrat freigegeben. Aber Teile sind serbisch besetzt.“ Er selbst und seine Frau, beide studierte Wirtschaftswissensschaftler, haben ihr Haus verloren; die Familie lebt in Europa verstreut. Bewerbungen auf Stellen in Sarajevo haben die beiden zwar losgeschickt – aber Antworten darauf haben sie noch keine. Eine Ausweisung würde ihnen das Gefühl völliger Schutzlosigkeit geben. „Niemand weiß, ob es wirklich ärztliche Hilfe oder Obdach gibt. Im Gegenteil warnen jetzt sogar Militärs vor erneuten Konflikten“, berichtet auch Pörschke.

Wer die Ausreise dennoch plant, den beutelt die gekürzte Sozialhilfe. Flüchtlinge und Hilfsorganisationen reagieren mit Unverständnis: „Gerade wer zurückkehrt, braucht doch Geld.“ Ein finanzielles Polster habe niemand: Viele Flüchtlinge haben sich von der Sozialhilfe lange die letzten Groschen abgespart – um Verwandte in den Kriegsgebieten zu unterstützen. „Jetzt fressen die Sozialhilfe-Kürzungen die finanzielle Rückkehr-Hilfe quasi wieder auf“, sagt Pörschke. Ihn ärgert auch, daß die Rückkehrerinformationen ins Bosnische übersetzt wurden – während alle übrigen Schriftsätze nur auf deutsch verschickt werden. „Da ist es kein Wunder, daß erst 60 Personen Rechtsmittel beim Ausländeramt eingelegt haben“, findet er. Doch er warnt vor unmenschlichen Folgen: „Wenn ich durch's Ausländeramt gehe, treffe ich immer wieder Leute, die Widerspruchsfristen versäumt haben.“

Erst letzte Woche mußte er in solch einem Fall intervenieren. „Diese Massenabfertigung, die zum Teil fehlerhaft verläuft, wird dem Problem nicht gerecht“, kritisiert er. „Der Einzelfall muß mehr beachtet werden.“ Doch genau das geschehe nicht. Im Gegenteil: Während das Friedensabkommen von Dayton die Rückkehr in den Heimatort vorsehe, verlange die Ausländerbehörde Rückkehr in zum Teil serbisch besetzte Gebiete. Dafür kennt er viele Beispiele – doch wenige sind so heftig wie der Fall einer 70jährigen Bosnierin. Ihr wurde die Duldung abgelehnt. Die Argumentation der Frau, die als Zeugin von Gewalttaten Konsequenzen befürchtet, wurde nicht aufgenommen. Das Schicksal der Verfolgung aus rassischen und nationalen Gründen gelte für alle bosnischen Bürgerkriegsflüchtlinge, schrieb ihr die Behörde stattdessen. Die alte Dame gehört jetzt weiterhin zur Gruppe derjenigen, die vorrangig ausreisen müssen: Sie ist nämlich alleinstehend. ede

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