piwik no script img

Bis der andere „aus dem Schädel blutet“

Rechtsradikale Gewalt ist überall in Brandenburg. Schon lange sind es nicht mehr die organisierten Kader, die schlagend und brennend umherziehen. Drakonische Strafen schrecken sie nicht  ■ Von Annette Rogalla

Ist er ein Rechter? Wenn du so willst. Hat er schon mal einen Fremden überfallen? Nö. Zweimal hat die Staatsanwaltschaft gegen ihn ermittelt, wegen Körperverletzung. Rausgefunden haben sie aber nix. Und was bedeutet dieser Aufnäher am Jackenärmel, der Reichsadler umkränzt vom Slogan „Neuruppin, Skinhead 88“? Eigentlich nix. Marko will nicht nach seiner politischen Heimat befragt werden. Trinkt lieber Kaffee und spielt Billard. Deswegen kommt er her, in diese Baracke aus Betonplatten, die sie „Fischbüchse“ nennen.

Der Jugendclub im brandenburgischen Neuruppin gehört zu dem Netz von Einrichtungen, das vor fünf Jahren gespannt wurde, um latent „gewaltbereiten“ Jugendlichen eine Anlaufstelle zu bieten. Die Kids wohnen in den umliegenden Plattenbauten. In der „Fischbüchse“ warten täglich drei Sozialarbeiter auf sie, bieten Kaffee, Hot dogs, Daddelautomaten, Spielkarten und hören zu. Sie sollen der Gewalt vorbeugen.

Neuruppin ist einer der Orte, an dem alle paar Tage Ausländer überfallen werden. Einem Afrikaner wurde nachts auf der Straße gewaltsam Geld abgenommen, wenig später schossen Jugendliche mit einer Gaspistole einem Russen ins Gesicht, vor einer Disco bedrohten sie einen Libanesen und schossen ihn mit der Gaspistole an. Drei gemeldete Vorfälle in zwei Wochen. Was geht Marko dabei durch den Kopf? Einerseits Sympathie. Andererseits ist Gewalt „ooch keene Lösung“. Sind die Überfälle ein Gesprächsthema in der „Fischbüchse“? „Wat solln wa groß darüba reden? Man erzählt sich wat, det hat aber keenen Einfluß auf meene Gedanken.“

Rechtsradikale Gewalt ist überall in Brandenburg. In Flecken Zechlin versuchte ein 19jähriger, eine türkische Schülerin zu überfahren, in Brandenburg an der Havel wurde Sven Beuter zu Tode getrampelt, weil er Punk war. In Fürstenwalde skandierten Skins vor einer Imbißbude „Ausländer raus!“ und demolierten den Verkaufsstand. In Mahlow flog ein Stein in das Auto von drei britischen Bauarbeitern; Noel Martin, der Fahrer, ist seither querschnittsgelähmt.

Wer in den vergangenen Jahren dachte, der rechte Spuk verschwinde irgendwann von selbst, hat sich geirrt. „Das Problem, das uns vor zwei, drei Jahren stark beschäftigte, hat uns wieder eingeholt“, sagt Erardo Rautenberg. Der Generalstaatsanwalt muß sich nicht vorwerfen, mit den Tätern zimperlich umgegangen zu sein. Er ordnete Eilverfahren an, ließ eine Täterdatei anlegen und forderte Strafen bis zur Höchstgrenzen. „Es ist bekannt, daß ein Molli, in ein Asylheim geworfen, eine Mordanklage nach sich zieht.“ Abgeschreckt hat das drakonische Vorgehen niemand. Rautenberg gesteht ein, mit „repressiven Mitteln allein das Problem nicht in den Griff zu kriegen“. Der Haß gegen Fremde nimmt zu.

Schon lange sind es nicht mehr die organisierten Kader, die schlagend und brennend durchs Land ziehen. Weil aber der Verfassungsschutz nur sie beobachtet, konnte sich Alwin Ziel im Oktober noch beschwichtigend geben. Seine Jahresbilanz, so Brandenburgs Innenminister, zeige für rechtsextreme Straftaten eine „Konsolidierung auf Vorjahresniveau“.

Sozialarbeiter können keine Wunder vollbringen

Mittlerweile hat Ziel seinen Selbstbetrug bemerkt: Alle Polizeipräsidien haben jetzt für jeden Revierbezirk Berichte über die Situation gewaltbereiter Jugendszenen anzufertigen. Liegen die geforderten Dossiers vor, will sich Ziel mit der Jugendministerin, der Ausländerbeauftragten, dem Justizminister und Sozialarbeitern an einen Tisch setzen und „Präventionsmaßnahmen“ ersinnen.

Alle zerbrechen sich den Kopf, keiner weiß weiter. Auch in der „Fischbüchse“ herrscht Ratlosigkeit. Sozialarbeiterin Martina Utport und ihre Kollegen geben sich alle Mühe, an die Jugendlichen heranzukommen. Sie reden über Frust in der Schule, über fehlende Ausbildungsplätze, über Schwierigkeiten mit den Eltern. Sie bieten eine warme Stube, helfen bei der Arbeitssuche, offerieren Ferienfahrten, lassen die Jugendlichen Konzerte organisieren. Alle Kniffe der Sozialarbeit haben sie in den letzten vier Jahren angewandt. Doch „wir können bestenfalls ihre Gewaltbereitschaft minimieren. Aber daß die Jugendlichen nicht mehr in rechten Kategorien denken, das schaffen wir nicht.“

Sozialarbeiter können keine Wunder vollbringen, dafür werden sie dann aber geschmäht. „Ihr seid doch genauso rechts wie eure Klientel“, muß Utport häufig von Stadtpolitikern hören, wenn in Haushaltsberatungen Zuschüsse verteilt werden und die „Fischbüchse“ nichts abbekommt.

Geld für Sozialarbeit ist knapp geworden in Brandenburg. Von den 1.100 Stellen, die das Land fördert, fallen bis zum Ende dieses Jahres 490 weg. Zwei von drei Stellen in der „Fischbüchse“ werden davon betroffen sein. Utport und ihre Kollegen haben bei Firmen angefragt, ob sie eine finanzielle Patenschaft für den Erhalt des Jugendclubs übernehmen wollen. Doch ein Haus mit diesem Ruf schmeichelt keiner Visitenkarte.

Die Jugendlichen wissen auch die miese Perspektive des Clubs für sich zu nützen. „Wer uns so brutal die Fischbüchse wegnehmen will, der muß mit unsrer brutalen Antwort rechnen.“ Thomas ist mickrige 13 Jahre alt. Seit seinen letzten großen Schlägereien läßt er sich selten in der Schule blicken, ist fast nie zu Hause, dafür aber immer häufiger bei seiner rechten Clique. Thomas zählt zum Nachwuchs. „Wenn wir provoziert werden, geht's los.“ Stichworte genügen: „Ausländer, Jude, Drecksau, Zecke – det reicht.“ Thomas sagt, er würde erst aufhören mit dem Treten und Schlagen, wenn der andere „aus dem Schädel blutet“.

Rechte Ansichten, Fremdenfeindlichkeit und Gewalt haben sich eingebürgert. Das beobachtet auch Almuth Berger. Die Ausländerbeauftragte des Landes hat in den letzten Jahren einiges unternommen. Elf „Regionale Arbeitsstellen für Ausländerfragen“ hat sie installiert. Ein „Mobiles Beratungsteam“ gegen Ausländerfeindlichkeit reist durchs Land. „Es ist viel gemacht worden“, sagt Berger, „aber es hat nicht gereicht.“ Gerade das Beispiel Mahlow, wo am 16. Juni ein Stein in den Jaguar der britischen Arbeiter krachte, hat gezeigt, wie rechte Gewalt in einem desinteressierten bis wohlwollenden Umfeld gedeiht.

Diffuser Haß gegenüber allem Fremden nimmt zu

Zwei Jahre saßen die Rechten am Bahnhof herum und klopften ausländerfeindliche Sprüche. Jeder im Dorf, der hören wollte, konnte sich ausmalen, was sich dort zusammenbraute. Niemand ist hingegangen und hat ihnen Paroli geboten. „Und als wir nach der Tat zunächst einen falschen Verdächtigen festgenommen hatten, wußte jeder in der Schule das. Aber niemand ist gekommen und hat gesagt: Ihr habt den Falschen, wir kennen den richtigen Täter.“ Auf das dörfliche Schweigekartell ist Generalstaatsanwalt Rautenberg noch heute wütend.

Der Steinwurf hat das Dorf in die Schlagzeilen gebracht. Das kreiden die Mahlower den Steinewerfern an. Schuld- oder Schamgefühle zeigten sie nicht. Nach der Tat brannten keine Kerzen auf den Bürgersteigen, Bürgermeister Werne la Haine lud nicht zu einer Dorfversammlung ein. Als Almuth Berger in das Dorf reiste, gewährte man ihr halbherzig ein Gespräch und lud danach notgedrungen eine Gruppe Ausländer auf ein Fußballspiel ein. Damit war das Thema Nachdenken über Fremdenfeindlichkeit abgehakt. Die Ausländerbeauftragte ist „einigermaßen sprachlos“.

Diffuser Haß gegenüber allem Fremden sei heute viel stärker als vor einigen Jahren, meint auch Generalstaatsanwalt Rautenberg. Er weiß, daß viele Diskriminierungen erst gar nicht angezeigt werden. „Wer in einem kleinen Dorf wohnt, traut sich nicht, so etwas anzuzeigen.“ Angesichts der alltäglichen Diskriminierungen konstatiert Rautenberg: „Wir sind am kritischen Punkt angekommen.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen