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Nie länger als drei Folgen

■ Die "Lindenstraßen"-Frauen haben es schwer mit der Emanzipation. Wenn sie sich tatsächlich mal selbst verwirklichen, steht's schon bald nicht mehr im Drehbuch

Ab einem gewissen Alter sind natürlich alle rothaarig. Außer vielleicht Else Kling, aber die ist sowieso ein Drachen und eignet sich absolut nicht als Identifikationsfigur. Aber die restliche Damenwelt über 50 greift zu Henna: Amelie von der Marwitz, Rosi Koch, Eva-Maria Sperling, Isolde Pavarotti... Das muß so sein, wenn man als Frau mitspielen will in der „Lindenstraße“, der realistischsten aller Fernsehserien. Wer jünger ist, muß flippig sein oder fliegt raus! Beate Sarikakis spielt Saxophon und ist unheimlich flippig: Super! Tanja Schildknecht-Dressler macht erst auf Edelnutte, wird dann lesbisch und ist deshalb unheimlich flippig: Spitze! Iffi Zenker macht es mit Vater und Sohn gleichzeitig und war schon immer unheimlich flippig: Prima! Irgendwie nicht ganz so flippig war dagegen Marion Beimer: Ab nach Frankreich mit ihr also! Und Julia von der Marwitz? Nicht flippig genug – an Tollwut gestorben. So spielt das Frauenleben in der „Lindenstraße“. Natürlich sind trotzdem irgendwie alle Damen der Serie unheimlich „starke Persönlichkeiten“, wie den Presseheften zu entnehmen ist. Ach ja? Wohl darum versuchen sie alle paar Folgen, sich phantasievollst umzubringen: Anna Ziegler hopste kurzerhand aus dem Fenster, Chris Barnsteg, Claudia Rantzow und Henny Schildknecht versuchten es mit Tabletten, und Philo Bennarsch hielt weiland so lange die Luft an, bis sie ohnmächtig umfiel.

Wieso schreibt man den Frauen so was ständig ins Drehbuch? O ja, die „Lindenstraße“-Frauen sind Persönlichkeiten! Und es ist wahr: Fast immer sind sie mutiger, wahrer und stärker als die schlaffen Herren der Serie. Aber nur ein paar Folgen. Dann geben sie nach. Die Emanzipation hält immer nur wenige Wochen. Es endet immer im „Hilfe, ich bin eine Frau, ich bin schwach!“ Da kämpfte Elena Sarikakis hart gegen die deutsche Bürokratie, aber dann ging sie doch zurück nach Griechenland, um ihrem mißhandelten Gatten zu helfen. Oder Helga Beimer: Immer hielt sie ihre bekloppte Familie zusammen, war hart gegen sich selbst und andere. Aber Emanzipation? Gerade wollte sie damit anfangen, da mußte ihr Sohn Benny sterben. Ergebnis: Ein nicht enden wollendes Schluchzen. Und erst Berta Griese! Wie oft hat sich diese Frau schon selbst aus dem Schlamassel gezogen! Wie bewundernswert hat sie ihr schweres Leben gemeistert. Aber kaum, daß sie das Weichei Scholz vor die Tür gesetzt hat, versagt dem Herrn, der sich ihr Lebenspartner schimpft, eine Niere, und Berta gibt nach, holt ihn zu sich zurück und umsorgt ihn, als hätte sie nie das Bedürfnis nach Selbstverwirklichung gehabt.

Die Serienwelt ist wahrhaft ungerecht zu starken Frauen. Sie verlieren ihre Chancen, kaum daß sie drei Folgen lang auf eigenen Füßen stehen. Erst jüngst traf es wieder zwei: Gabi Zenker, Fels in der Brandung, ruhender Pol im Chaos von Haus Nummer drei: Doch auch ihr Selbstbewußtsein bröckelt: „Bin ich frigide?“, fragte sie sich eines schönen Sonntags. Und schuldbewußt drehte sie sich zur Kamera: „Ich muß doch verstehen, daß mein Mann auf Sex nicht verzichten kann.“ Derweil fiel eine Treppe höher die kettenrauchende Ärztin Eva-Maria Sperling dem Wahnsinn anheim: Der Ehemann springt ins Bett mit der Schwiegertochter, der Sohn wird irre und geht auf den Strich... Ende letzten Jahres noch hatte sie in einer Schlußszene gebrüllt: „Ich bin nicht ewig für meine Kinder verantwortlich! Dann geh doch weiter anschaffen, mein Sohn! Aber wenn du jetzt hier rausgehst, dann brauchst du nie, nie wiederzukommen!“ Eva-Maria, eine die durchhält? Wohl kaum. Statt dessen verzieht sie sich ins Reha-Schutzgebiet am Starnberger See. Die „Lindenstraße“ ist nicht der Boden, auf dem starke Frauen länger gedeihen können. Nun hat auch Tanja gemerkt, daß man nicht ungestraft lesbisch wird, sonntags, in der ARD. Werd' freiwillig wieder Klischeefrau, Tanja, sonst schreiben sie dir ein Schicksal hin, das dich umgehend heulen und Männerschultern suchen macht! Frank M. Ziegler

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