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Alles beim Alten

■ Bürgerbüros rücken in weite Ferne – Verwaltungsreform kommt schleppend voran

Der Gang zum Einwohnermeldeamt ist überfällig, der Personalausweis ist abgelaufen, und das Auto braucht dringend ein neues Nummernschild. Während die Bürger in Arnsberg, Heidelberg, Osnabrück und Hagen diese Formalitäten mit einem Gang ins Bürgerbüro erledigen können, müssen die BremerInnen dafür auch weiterhin zeitraubende Behördengänge quer durchs Stadtgebiet in Kauf nehmen: Den Personalausweis gibt es in allen Meldestellen, das neue Nummernschild bei der Zulassungsstelle in Hemelingen.

Das ist jedenfalls das Ergebnis der gestrigen Debatte in der Bremischen Bürgerschaft. Wie lang die Wege in Bremen sein können, bewieß die Landesregierung höchst persönlich: Im April des vergangenen Jahres wollte die CDU in einer Großen Anfrage vom Senat wissen, welche Überlegungen angestellt werden, um die Verwaltung zu entschlacken und bürgernäher zu gestalten. Sieben Monate brauchte der Senat für seine Antwort. Das gestern diskutierte Ergebnis war eher mager: „Für die Reform von Großorganisationen gibt es keine Patentrezepte“, vertröstete der Senat die Parlamentarier. Jetzt habe der Senat die Ressorts allerdings gebeten, „konkrete Möglichkeiten zur Verselbständigung oder Auflösung von Verwaltungseinheiten zu prüfen und darüber bis zum 15. Februar zu berichten.“

Bis dahin wären zehn Monate zwischen der Großen Anfrage der CDU und den konkreten Vorschlägen aus der Verwaltung vergangen. „Das ist eine totale Veralberung des Parlaments“, wetterte Andreas Lojewski von der AfB. Für die CDU ist die erforderliche Reform der Verwaltung trotzdem „auf gutem Wege“, betonte die Bürgerschaftsabgeordnete Brigitte Dreyer. Schließlich hätten sich die Koalitionsfraktionen von CDU und SPD darauf verständigt, staatliche Aufgaben stärker zu privatisieren. „Haben wir nicht“ kam prompt der Zwischenruf aus den Reihen der SPD. „Ich will nicht verhehlen, daß sich die CDU-Fraktion eine etwas flottere Geschwindigkeit bei den Reformen wünschen würde. Doch in einer Partnerschaft muß selbstverständlich Rücksicht genommen werden, und, die nehmen wir auch“, antwortete Dreyer dem Koalitionspartner mit einem Seitenhieb. Auch die Beamten müßten sich im Zuge der Reformen von liebgewordenen Privilegien verabschieden. Die Arbeitnehmer in der freien Wirtschaft müßten unter anderem Lohnverzicht, Entlassungen und unbezahlten Überstunden hinnehmen. Die Beamten des Öffentlichen Dienstes kämen dagegen in den Genuß von zahlreichen Privilegien wie Unkündbarkeit oder 26 Wochen Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. „Das ist ein Unterschied wie zwischen freier Wildbahn und gepflegter Schloßgartenatmosphäre.“ „Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen schmeißen“, erwiderte Gisela Hülsbergen (SPD). „Sie sind auch als Bedienstete des Öffentlichen Dienstes beurlaubt.“ Für Beamte seien „verläßliche Rahmenbedingungen unerläßlich“, jammerte Hülsbergen, die außerdem Bezirksvorsitzende der Gewerkschaft ÖTV ist. Es dürfte „nicht ausgeblendet werden“, daß Beamte für qualifiziertere Arbeit auch mehr Geld bekommen müßten, forderte sie offenbar mit Blick auf die nächsten Tarifverhandlungen. Und daß die SPD jede Privatisierung von öffentlichen Aufgaben „pauschal“ mitmachen würde, bräuchte sich die CDU nicht einzubilden.

Helmut Zachau (Grüne) konnte sich nach diesem Schlagabtausch die Häme nicht verkneifen. Er erinnerte die Koalitionäre an Ziffer 206 ihres Vertrages. „Der Öffentliche Dienst muß kleiner und besser werden“, heißt es dort. Nach gut eineinhalb Jahren Regierungszeit sei die Große Koalition „ein Ausdruck der Unbeweglichkeit und Zukunftsverweigerung.“ Der Senat tue so „als müsse das Rad in Bremen neu erfunden werden.“ „Es gibt keine klaren Zielvorgaben des Senats... In Bremen bleibt alles beim alten...“ Bürgermeister Ulrich Nölle (CDU) versuchte der Debatte schließlich die Schärfe zu nehmen. Zur Privatisierung gebe es „keine Alternative“ sagte er lächelnd in Richtung der Koalitionspartner. Alles bräuchte eben seine Zeit, – und eine Verwaltungsreform braucht nach seiner Einschätzung sogar „Jahre“. Und bis dahin gibt es den Paß in den Stadtteil-Meldestellen und das Nummernschild in Hemelingen. kes

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