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Quadratisch, praktisch, gut

1926 hat Margarete Schütte-Lihotzky die Einbauküche erfunden: Heute wird die bedeutendste Architektin Österreichs hundert Jahre alt  ■ Von Sophie von Glinski

Wie wohnt eine 100jährige Architektin? Bescheiden und zweckmäßig, meint Margarete Schütte- Lihotzky, und kontert mit einer Gegenfrage: „Wieso nicht in dieser kleinen Genossenschaftswohnung hier? Ich habe doch alles: Wohnplatz, Eßplatz, Arbeitsplatz, Schlafplatz und die Dachterrasse. Berufstätige Frauen haben keine Zeit für einen Garten.“

Sie hatten also doch recht, die Architekten des „Neuen Bauens“ der 20er Jahre. Die „entsprechend den Lebensbedürfnissen“ gestaltete Wohnung macht das Leben tatsächlich froher, schöner – und offenbar auch länger. Margarete Schütte-Lihotzky ist dafür der lebendige Beweis. Oder ist sie mit ihren 100 Jahren nur deshalb so vital, weil sie selbst ein Leben lang Wohnungen gebaut hat?

Die am 23.1. 1897 in Wien geborene Architektin hat immer an konkreten Problemen der Gegenwart gearbeitet: „Gehen Sie doch hinaus in die Arbeiterbezirke, und schauen Sie, wie die Leute da wohnen“, sagte ihr Wiener Lehrer Oskar Strnad, als die Architekturstudentin – sie war die erste in Österreich – an einem Wettbewerb für Arbeiterwohnungen teilnehmen wollte. Das war 1917. Sie nahm sich den Rat zu Herzen und gewann den ersten Preis.

Genau hinzusehen, für die Bedürfnisse der Menschen zu bauen, also: sozialer Wohnungsbau im besten Sinne, wurde zu Schütte-Lihotzkys Lebensaufgabe. Sie blieb als Mitarbeiterin von Adolf Loos zunächst im „Roten Wien“; 1926 warb der Frankfurter Stadtbaurat Ernst May die selbstbewußte junge Frau (mit zeitgemäßem Bubikopf) für sein Wohnungsbauprogramm an. Margarete Schütte-Lihotzky entwickelte für die neuen Siedlungshäuser innerhalb von wenigen Monaten eine Sensation: die erste Einbauküche, die als „Frankfurter Küche“ weltbekannt wurde.

Oberstes Gebot war, so billig wie möglich zu bauen. Schütte-Lihotzky zog daraus die Konsequenz: Serienfertigung von Küchenmöbeln, die fest eingebaut werden sollten. Aber der Architektin ging es um mehr als nur ökonomische Vorgaben. Ihre Küche sollte den Frauen endlich die sklavische Hausarbeit erleichtern. Denn, wie sie damals schrieb: „Jede denkende Frau muß die Rückständigkeit bisheriger Haushaltsführung empfinden und darin schwerste Hemmung eigener Entwicklung erkennen.“ Unzählige raffinierte Details sollten die Arbeit in der neuen Küche effektiver und angenehmer machen: zum Beispiel die Arbeitsplatte mit integrierter Emaillerinne, in die sich Küchenabfälle einfach hineinwischen ließen, um sie dann über eine Klappe in den Mülleimer zu entleeren. Das Bügelbrett konnte aus der Wand geklappt, das Mehl direkt aus der Aluschublade in den Topf geschüttet werden.

Jeden Handgriff, jeden Arbeitsablauf hatte die vom Taylorismus begeisterte Architektin mit der Stoppuhr abgemessen, damit die Küchenarbeiterin keine überflüssige Bewegung machen mußte. Die Hausfrau muß bei der Arbeit in ihren perfekt durchrationalisierten 6,54 Quadratmetern ausgesehen haben wie eine von Oskar Schlemmers Figurinen beim mechanischen Bauhaus-Ballett. Und das sollte Emanzipation sein? Um nicht vorschnell zu urteilen, muß man sich die Konstruktion der Küchenlampe ansehen: An einer Deckenschiene kann die Beleuchtung überall hin gezogen werden, wo sie gerade gebraucht wird. So kann man sich nicht selbst im Licht stehen. Margarete Schütte-Lihotzky hat als erste die Küchenarbeit überhaupt als Arbeit wahrgenommen und entsprechend nach architektonischen Lösungen gesucht. Und sie hat auch nicht vergessen, in der Küchenwand eine große Tür zum Wohnzimmer offenzulassen.

Für die Menschen bauen, vor allem für die Frauen – das blieb Schütte-Lihotzkys Anliegen auch in den Jahren, die sie – inzwischen verheiratet – mit der „Brigade May“ in der Sowjetunion verbrachte. Von 1930 bis 1937 entwarf sie für die neuen Sowjetstädte Gemeinschaftsküchen, Läden, Kindergärten. Was Frauen eben so planen dürfen. Für Schütte-Lihotzky war die Berufstätigkeit der Frauen die Zukunft; und an eine Neuaufteilung der Hausarbeit glaubte die Pragmatikerin nicht. Die sowjetischen Frauen würden Kindergärten brauchen und Wohnungen, die nicht aufwendig geputzt werden mußten. Also baute sie sie. Ebenso pragmatisch war ihre Herangehensweise an die politischen Fragen der Zeit, die sie sich damals stellte: „Was haben wir zu tun, damit wir nach dem Sturz Hitlers mit gutem Gewissen wieder in der Heimat leben können?“ Die Architektin, die inzwischen – 1938 – in Istanbul Mädchenschulen entwarf, nahm Kontakt zu österreichischen Widerständlern auf und trat in die Kommunistische Partei ein. Im Dezember 1940 reiste sie als Kurierin nach Wien; wenige Wochen später wurde sie verhaftet und entging nur knapp der Todesstrafe. Alle anderen Mitglieder ihrer Wiener Gruppe, deren Arbeit sie in ihren „Erinnerungen aus dem Widerstand“ geschildert hat, wurden hingerichtet.

Im Nachkriegs-Wien war die kämpferische Frau nicht gern gesehen, auch wenn ihre Frankfurter Küche in der Sammlung des Wiener Museums für angewandte Kunst vertreten ist: „Ganze zwei Kindergärten haben sie mich seitdem bauen lassen“, schimpft „die Schütte“ heute – übrigens immer noch Mitglied der KPÖ. So arbeitete sie wieder im Ausland: in China, Kuba, der DDR, für die UNO – eine berufstätige Frau eben, der es im hohen Alter erst vergönnt war, ihren Ruhm auch zu genießen. 1991 wurde sie zum Ehrenmitglied der Hamburger Hochschule für bildende Kunst ernannt. Drei Jahre zuvor war es noch zum Eklat gekommen: Als ihr 1988 das österreichische Ehrenabzeichen für Wissenschaft und Kunst durch Kurt Waldheim verliehen werden sollte, lehnte sie ab.

Ideen und Visionen hat sie noch immer – so sollte sie für die Expo 1995 in Wien etwa Wohnbauprojekte entwickeln: „Ich finde es grotesk, daß heute noch immer so gebaut wird wie vor 60 Jahren. Die Architektur hat sich überhaupt nicht den realen Bedürfnissen der Menschen angepaßt.“

1992 ist bei Ernst & Sohn eine Dokumentation zu Margarete Schütte-Lihotzkys „Frankfurter Küche“ erschienen (60 Seiten, 39 DM)

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