: Krieg in der Stadt
Geschichten aus Kreuzberg, so wahrscheinlich wie ein Vulkanausbruch im Viktoriapark: „Kiezrebellen“ und das „Kreuzundquer“-Festival ■ Von Daniel Bax
„A Chorus Line“ im Hinterhof? Vom Band scheppert laute Musik, während eine bunte Truppe junger Schauspieler in Leggings, T-Shirt und Stretchbody synchrone Tanzschritte einübt. Auf der Zuschauerbank sitzt derweil, hinter Regisseur Selcuk Sazak, eine westdeutsche Schulklasse und verfolgt mit mäßigem Interesse die Tanzschulszenerie. Gerade laufen die letzten Proben für „Kiezrebellen“, ein „Rockmusical“ mit Liveband, angesiedelt irgendwo zwischen deutsch-türkischem Grips-Theater und „West Side Story“ am Kottbusser Tor.
Der Plot wirkt leider mächtig konstruiert. Gleich zu Beginn des Stücks fällt eine Gruppe Skinheads marodierend und stockbesoffen in Kreuzberg ein – und strapaziert damit vor allem das Vorstellungsvermögen der Zuschauer, scheint ein solcher Einmarsch in die Oranienstraße doch so wahrscheinlich wie ein Vulkanausbruch im Viktoriapark. Dort geraten die Rechten, wer hätte das erwartet, an eine türkische Jugendbande mit dem unmißverständlichen Namen Fighters.
Natürlich kommt es zum Kampf der beiden Parteien, in dessen Verlauf einer der Skins, nachdem seine Kameraden die Beine in die Hand genommen haben, in die Gewalt der türkischen Gruppe gerät. Beim Verhör stellen die türkischen Kiez- Fighter erstaunt fest, daß ihre Geisel ein Halbtürke namens Mesut ist, der von diesem Moment an nicht unerhebliche Schwierigkeiten hat, sich zwischen seiner Loyalität zu seinen deutschen Freunden und der langsam in ihm aufkeimenden Sympathie zu den türkischen Gangmitgliedern zu entscheiden. Und so laviert er zwischen den Fronten, „ähnlich einem V-Mann, der mit sich selbst in Konflikt kommt“, so Salih Akinici, der den Mesut spielt.
„Kiezrebellen“ soll sich insbesondere an Jugendliche und Schüler zwischen 13 und 17 Jahren wenden, handelt jedoch von den Schmerzen jugendlicher Identitätsfindung und der Flucht in die Gruppe, vom Selbsthaß und den Minderwertigkeitsgefühlen gerade türkischer Jugendlicher in Deutschland, vom Haß auf die Väter und von Männlichkeitsritualen in der Clique, vor allem aber von Gewalt. Als Grundlage diente den Schauspielern nicht zuletzt das Buch „Krieg in den Städten“ der Autoren Seidel-Pielen und Farin über Jugendgangs in Berlin, welches freilich schon sechs Jahre alt ist. Regisseur Sazak hält das Problem der Bandenbildung dennoch nach wie vor für aktuell, „auch wenn es in den Medien derzeit nicht angesagt ist“. „Kiezrebellen“ soll darum vor allem in Schulklassen aufgeführt werden, wo anschließend über die Thematik gesprochen werden kann.
Derzeit bildet das Stück, das heute abend erstmals im Ballhaus Naunynstraße zu sehen sein wird, einen der Schwerpunkte im Programm des dreiwöchigen Theatertreffens „Kreuzundquer in Kreuzberg und Neukölln“. Das kleine „Kreuzundquer“-Festival ist der Ersatz für das Theaterfest des Diyalog e.V., welches die letzten Jahre zu dieser Zeit stattfand und dessen vorbereitende Planung dieses Mal durch die aktuelle Haushaltssperre schon frühzeitig zunichte gemacht wurde.
Vor allem dem „Tiyatro aktuel“ ist es daher zu verdanken, daß sich in diesen Wochen auf den Bühnen des Ballhauses und der Werkstatt der Kulturen in der Neuköllner Wissmannstraße so viel tun wird: Gastspiele aus Köln und Amsterdam und diverse Berliner Inszenierungen sowie zwei Premieren. Zum einen ein Tschechow-Einakterdoppel der Regisseurin Ismet Ergün und zum anderen ein Kabarettprogramm in deutscher Sprache des „Tiyatro aktuel“.
Hinzu kommen Konzerte des Jazzpercussionisten Mesut Ali und seiner Oriental Connection, des amerikanischen Billy Bang Quartetts, der Berliner Jazzpop-Bigband Gatz Gatz sowie des Folkgitarristen Bülent Ortacgil aus Istanbul, und zum Schluß spielt die Funk-Arabesk-Kapelle „Orientation“ auf. Kein schlechtes Aufgebot im Ballhaus, dessen Zukunft als kommunale Spielstätte des Bezirks in den letzten Wochen auf Messers Schneide stand. Inzwischen kann wieder aufgeatmet werden, hat doch das Bezirksamt von Verkauf oder Verpachtung des Hauses Abstand genommen.
„Kiezrebellen“ heute abend um 20 Uhr sowie am 29. und 30.1. um 11 Uhr im Ballhaus Naunynstraße, am 4. und 5.2. in der Werkstatt der Kulturen, Wissmannstr.
Das Festival „Kreuzundquer“ läuft noch bis zum 9.2. im Tiyatrom, dem Ballhaus Naunynstraße und der Werkstatt des Kulturen
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