Zwischen den Rillen: Ein Tag im Bett
■ Verlust der Mitte: „Power Pop“ mit Redd Kross, They Might Be Giants, Fountains of Wayne
Die Attribute, die diese Musik beschreiben sollen, sind immer dieselben – abgerufen aus einem Zettelkasten mit der Aufschrift „Power Pop“. Ein „schnörkellos“ kommt ebenso häufig vor wie „ausgefeilt“. Dann ist die „Pop-Perle“ auch nicht mehr weit, die stereotype Umschreibung für jene zwei bis maximal drei magischen Minuten, in denen uns ein Song das Wesen der Welt zu erklären versucht. Das Date, der Kuß, die Zigarette danach.
Der speckige Nebenbuhler. Die kleine Lüge mit großen Folgen. Ein Tag im Bett (mit schwarzem Kaffee). Oder auch wie es ist, wie ein Mädchen zu singen. Als Junge. Power Pop und „Teen Spirit“ sitzen also in derselben Klasse. Und meistens nebeneinander.
Obwohl es sich bei Power Pop also um ein zeitloses Genre handelt, sind die Melodien – so schön gebastelt sie sein mögen – keine mehr für Millionen. Die wollen heute – wenn nicht gerade Oasis draufsteht – längst was anderes: Dance- und Techno-Bums, triefende Abschiedshymnen für gefallene Sporthelden, keimfreien Rosettensoul, alte Haudegen mit Rauhreiforgan und zorniges Rockpathos der Jüngeren.
Dennoch investieren große Plattenfirmen unverdrossen in Power Pop. Trägt sie die Hoffnung auf Besserung – auf den Überraschungshit, den niemand planen und vorhersehen kann? Oder nur die Suche nach ein paar Abschreibungsprojekten für die Jahresbilanz? Wir wissen es nicht. Wir wissen nur: Hier sind wieder drei Alben, mehr oder minder voll mit Power Pop.
Redd Kross reimen „One Chord Progression“ auf „Obsession“. Womit bereits das Wesentliche gesagt wäre über die kalifornischen Gebrüder Jeff und Steven McDonald, die schon auf der Bühne standen, als unsereins gerade mal in der D-Jugend kickte, und dementsprechend mit um die Dreißig schon „Altmeister“ genannt werden dürfen. Dennoch ist ihr ungefähr siebtes Album „Show World“ – nach Streifzügen durch andere Ableger der Musikhistorie – zugleich ihr erstes, das zweifelsfrei dem Power-Pop-Kosmos zugeteilt werden darf. Ungeniert geben Redd Kross die gelehrig rockenden Adepten der Beatles, die hier vor allem in der Prä-Yoko- Ono-John-Lennon-Variante stramm Pate gestanden haben. Zwischendurch wird auch mal der Knüppel aus dem Sack geholt, dann schrecken sie selbst vor der berüchtigten Twin-Guitar-Attacke nicht zurück. Die Plattenfirma wirft – man weiß, was sich gehört in den 90ern – ein „klanggewordener Zynismus“ in die Debatte.
Aber dafür ist denn doch zuviel Verehrung und „Wandelndes Musiklexikon“-Leidenschaft im Spiel. Redd Kross behaupten: Ohne ihre Musik wären sie zu Mördern geworden. Das klingt einigermaßen schwachsinnig und selbstverliebt. Die Musik ist aber besser.
Auch schon eine runde Dekade dabei: John Linnell und John Flansburgh alias They Might Be Giants (TMBG). „Factory Showroom“, ihr sechstes Album, setzt die bereits auf „John Henry“ (1994) vollzogene Volte vom elaborierten Zwei-Mann- Wohnzimmer-Projekt zur „richtigen“ Band fort. Festnageln läßt sich das Duo aus Brooklyn deshalb aber nicht, weder im Sound noch thematisch. TMBG plündern Buddy Holly und Memphis- Soul, New-Wave-Attitüde und Spieluhrenästhetik. Ad acta gelegte Glaubenskriege der Popgemeinde („XTC vs. Adam Ant“) finden sich ebenso auf ihrer Agenda wie jener böse US-Präsident, der einst Texas den Mexikanern entriß („James K. Polk“). Die latente Gefahr, sich dabei zu verlieren in einer akademischen Nummernrevue, die den Song nur – einem Bären am Ring gleich – durch die Manege schleift, ist wieder besser gebannt als zuweilen in der Vergangenheit. Und der Witz um des Witzes willen hält sich in den akzeptablen Grenzen eines zwanglosen Eklektizismus.
Fountains af Wayne schließlich sind mit ihrem gleichnamigen Debüt ein „echter“ Neuzugang in der Power-Pop-Liga. In den 80ern sozialisiert, geben Chris Collingwood und Adam Schlesinger vor, Sonic Youth nicht mal zu kennen. Prefab Sprout und Aztec Camera dafür um so besser. Von den Fab Four zu schweigen. Das Songwriter- Duo verarbeitet Surf-, Glam-, Bubblegum- und supersanfte Psychedelic-Spurenelemente mit leichter Hand zur mit Abstand eingängigsten Melange dieses Pakets.
Power Pop mit gaaanz viel Pop sozusagen. Ob man dann dem melancholisch nachempfundenen Gefühlshaushalt trauriger Mädchen („Sick Day“, „She's Got A Problem“) oder ebenso genretypischer Euphorie („Survival Day“, „I've Got A Flair“) den Vorzug gibt, reduziert sich auf eine Stimmungsfrage. Wenn man erst mal in Stimmung gekommen ist.
Echte Teenagerhymnen, so soll der politisch garantierte unkorrekte Godfather-of-Teen- Trash, Kim Fowley, einmal geäußert haben, könne man erst mit 25 schreiben. Wer „Girl God“ (Redd Kross) gehört hat und „New York City“ (TMBG) und vielleicht auch noch „Leave The Biker“ (der speckige Nebenbuhler bei Fountains Of Wayne), möchte meinen: Der Mann hat recht. Und Power Pop vielleicht doch noch eine Existenzberechtigung in der Nische? Jörg Feyer
Redd Kross: „Show World“ (Mercury)
They Might Be Giants: „Factory Showroom“ (Eastwest)
Fountains Of Wayne: „Fountains Of Wayne“ (Eastwest)
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