Vichy holt Exminister ein

Maurice Papon muß sich wegen Beihilfe zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor einem französischen Gericht verantworten  ■ Aus Paris Dorothea Hahn

Der einstige Generalsekretär des „Amtes für Judenfragen“ in der Präfektur Gironde, mit Sitz in Bordeaux, hat sich verteidigt wie ein Löwe. Effizient wie in seinen jungen Jahren im Dienst des Vichy-Regimes wies Maurice Papon sämtliche Anschuldigungen, er habe die Deportation von 1.690 Juden in Vernichtungslager organisiert, von sich. Wer das Gegenteil behauptete, wer ihn der Verbrechen gegen die Menschlichkeit, wer ihn der Komplizenschaft mit den deutschen Nazis beschuldigte – all diese Angehörigen von Opfern, Journalisten und Rechtsanwälte brachte Papon vor Gericht. Oft mit Erfolg: Zahlreiche Franzosen mußten in den letzten 17 Jahren Schadenersatz wegen „Beleidigung“ an Papon zahlen.

Die Karriere des Funktionärs Papon führte steil nach oben: Von 1942 an diente Papon dem mit Nazideutschland kollaborierenden Vichy-Regime, nach dem Krieg wurde er Verwaltungspräfekt der südwestfranzösischen Region Landes, anschließend ging er als Verwaltungspräfekt nach Algerien, Ende der 50er Jahre holte de Gaulle ihn als Polizeipräfekten nach Paris, zwanzig Jahre später wurde er Haushaltsminister unter Präsident Valéry Giscard d'Estaing.

Problemen begegnete der Spitzenfunktionär Papon bei seinem Aufstieg jahrzehntelang nicht. Vorsichtshalber besorgte er sich aber für seine Beförderung an die Spitze der Pariser Polizei den „Persilschein“ eines „Ehrengerichts“. Er habe der Résistance gedient, ist jenem Beleg zu entnehmen.

Ernsthaften Ärger bekam der Technokrat Maurice Papon erst im Jahr 1981. Da war er Haushaltsminister, und die Wochenzeitung Le Canard Enchainé veröffentlichte Dokumente aus den 40er Jahren, wonach Papon persönlich die Deportation der Juden aus Bordeaux organisiert habe. Sein Namenszug unter den Dokumenten, in denen die Konvois für die Vernichtungslager organisiert wurden, war in Archiven in Bordeaux aufgetaucht.

Trotz der ersten Beweise und erster Anzeigen, die Familienangehörige der Deportierten erstatteten, vergingen zwei Jahre, bis sich ein französisches Gericht bequemte, ein Untersuchungsverfahren gegen den Gaullisten Papon zu eröffnen. Das war 1983. Seither schleppte sich die Sache von Verfahrensfehler zu Verfahrensfehler dahin. Höchste französische Würdenträger, darunter der sozialistische Präsident François Mitterrand, machten sich persönlich für die Verschleppung im „nationalen Interesse“ stark. Genau wie bei allen anderen Verfahren gegen mögliche französische Mitschuldige des Holocaust.

Als einziger Franzose wegen „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ angeklagt – und auch das nur nach jahrelanger Verschleppung – wurde der einstige Lyoner Milizionär Paul Touvier. 1994 wurde er wegen des Mordes an sieben Juden zu lebenslänglicher Haft verurteilt.

Der am 3. September 1910 geborene Maurice Papon ist heute der letzte lebende Spitzenfunktionär von Vichy.