: „Ziemlich hilflos“
■ Notarztwagenfahrer sollte ohne Vorbildung Rettungsgeräte bedie-nen, weigerte sich, und bekam ein Disziplinarverfahren an den Hals
BremerInnen können froh sein, wenn sie in den letzten Jahren den Notarztwagen nicht rufen mußten. Erstens sowieso, und zweitens, weil sie dann möglicherweise in die Hände von kaum ausgebildeten Rettungssanitätern geraten wären. Wie zum Beispiel ein elf Monate altes Kind, das im Oktober 1995 mit Atemnot ins Sankt-Jürgen-Krankenhaus transportiert wurde. Die Notärztin hatte den Transportführer aufgefordert, dem Kind Sauerstoff zu geben. „Ziemlich hilflos blickte er sich daraufhin im Wagen um“, um dann das falsche Gerät mit der falschen Maßnahme anzubieten, beschwerte sich die Medizinerin damals bei der Feuerwehrzentrale. Nur weil das Kind wieder stabil geatmet habe, habe sie auf den direkten Konflikt verzichtet. Es stellte sich heraus, daß der Transportführer zehn Jahre lang nicht im Notarztwagen gearbeitet hatte und der Fahrer noch Azubi war.
Öffentlich wurde das Schreiben der Ärztin durch das Disziplinarverfahren gegen den Feuerwehrmann Gert L. Der war 1993 als Fahrer auf einem Notarztwagen eingeteilt worden. Sieben Jahre lang hatte er keinen Rettungseinsatz gefahren. Kein Problem, neben dem Fahrer und der NotärztIn sitzt noch ein Feuerwehrmann als „Transportführer“ auf dem Wagen, in der Regel ein erfahrener Rettungssanitäter. Aber eben nur in der Regel.
Denn im November 1993 erfuhr L. kurz vor Schichtbeginn, daß der Transportführer erkrankt sei. Nun solle er dessen Posten übernehmen, ein neuer Fahrer sei auf dem Weg. Doch da wollte L. nicht mitmachen. Er habe kaum Ahnung von den neuen Rettungsgeräten, deshalb könne er es nicht verantworten, auf Notfall-PatientInnen losgelassen zu werden. Und L. hatte Erfolg. Eine Viertelstunde später war ein neuer Transportführer vor Ort.
Die Angelegenheit schien bereinigt, doch im September 1994 eröffnete der Personalchef der Feuerwehr L., daß der das Beamtengesetz verletzt habe. Die Folge: Disziplinarverfahren und Verweis. Das wollte sich nun L. nicht gefallen lassen. Er nahm sich einen Anwalt, der sofort Beschwerde einlegte. Ein Jahr verstrich, bis das zuständige Innenressort die Beschwerde abbügelte: L. hätte alle Rettungsgeräte bedienen können müssen. Selbst schuld, wenn er sich die Kenntnisse nicht selbst beschafft habe. Mit anderen Worten: Die Bremer BürgerInnen können sich nicht darauf verlassen, daß Transportführer auf Rettungswagen regelmäßig vom Arbeitgeber in neue Rettungsgeräte so eingewiesen werden, daß sie die auch bedienen können. Fortbildung nach dem Zufallsprinzip.
Vor einigen Tagen kam es nun zum Verfahren, und da konnten die Richter kaum glauben, wie wenig das Rettungswesen organisiert war. Sie legten den Vertretern der Feuerwehr nahe, die Disziplinarmaßnahmen gegen L. zurückzunehmen. Was die auch taten. Das Land trägt die Kosten des Verfahrens.
Seit November letzten Jahres wird nun alles besser. Denn seit November hat die Feuerwehr mit Karl-Heinz Knorr nun einen neuen Chef. Und der legt allergrößten Wert auf die Schulung des Rettungspersonals. Schließlich hatte er in München das Feuerwehr-Rettungswesen aufgebaut. Über hundert Feuerwehrleute werden allein in diesem Jahr durch Rettungsseminare geschickt, sagte Knorr gestern zur taz. Dazu gebe es laufende Fortbildungen. Und Kollegen, die auf den Löschzügen entbehrlich seien, würden zu Praktika auf Rettungswagen gesetzt – zusätzlich zum Fahrer und zum Transportführer. Zur Vergangenheit könne er allerdings nichts sagen. Knorr, vornehm: „Wie das früher war, das weiß ich nicht.“ J.G.
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